Craig Silvey: Wer hat Angst vor Jasper Jones?, Gebundene Ausgabe: 416 Seiten, Verlag: rororo (1. September 2012)

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marionhh Avatar

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In einer Kleinstadt in Australien: In den Sommerferien im Jahr 1965 wird Charlie nachts von Jasper Jones, dem Außenseiter der Stadt, der notorisch an allem schuld ist, aus dem Bett geholt und um Hilfe gebeten. Jasper schleppt ihn zu einer einsamen, unbekannten Lichtung im Busch. Hier stößt Charlie auf einen grausigen Fund: Ihre Schulkameradin Laura wurde misshandelt und erhängt. Jasper hat nun berechtigte Angst, für das Verbrechen verantwortlich gemacht zu werden und bittet Charlie, die Leiche verschwinden zu lassen und auf eigene Faust zu ermitteln, wer der Mörder ist und ihn so reinzuwaschen. Charlie hilft Jasper und wird so zu seinem einzigen Vertrauten. Für Charlie vergeht der Sommer in einer Spirale aus Angst, Gewissensbissen und Mutproben, und er gewinnt Erkenntnisse, die er nie für möglich gehalten hätte und auf die er gut hätte verzichten können.

In einem sehr heißen Sommer, in einem Geflecht aus Lügen, Vorurteilen, Verleumdungen, Hass und Gewalt kommen nach und nach einige sehr unangenehme Wahrheiten an sich Licht, die sich jedoch nicht allen erschließen, sondern nur denjenigen, die sie wahrhaben wollen. Eindringlich, detailliert, teilweise schaurig, aber auch einfühlsam beschreibt der Autor die Angst und den Zwiespalt, in dem Charlie sich befindet. In der Ich-Form und weitgehend im Präsens geschrieben, zieht Charlies Erzählung den Leser sofort mitten in die Geschichte hinein. Durch den Erzählstil hat man das Gefühl, selbst ein Teil der Geschehnisse zu sein und tief mit ihm mit zu empfingen. Dies wird noch verstärkt, als Charlie bei der Beschreibung der schaurigen Hintergründe am Schluss den Leser direkt anspricht. Es scheint, als bricht nach dem langen Schweigen endlich alles aus ihm heraus und erleichtert seine Seele.

Der Roman ist eine sehr fesselnde Geschichte über Freundschaft und Loyalität, über das Erwachsenwerden und die erste Liebe, aber auch über Mut und das Überwinden der eigenen Angst. Für einen Jugendroman sprechen der Stil des Erzählers und die vielen Verweise auf klassische Jugendliteratur wie Mark Twain oder Harper Lee. Die Erzählweise ist ganz von Charlies Charakter geprägt. Charlie schwankt zwischen Kindsein und Erwachsenwerden, er lehnt sich auf gegen seine Eltern und gegen die Erwachsenen im Allgemeinen, albert aber gleichzeitig mit seinem besten Freund Jeffrey herum und philosophiert mit ihm über Superhelden und über „Dschieses Kreist“. Es ist aber auch ein Roman für Erwachsene, deren Feigheit und Rassismus mehr als einmal deutlich zum Vorschein treten und die so den Spiegel vorgehalten bekommen. Man ist erschüttert über das Verhalten der Erwachsenen und lernt, dass Hinsehen und für jemanden einstehen mehr Mut erfordert als alles andere.

Dies ist auch eine Geschichte über Außenseiter, und interessanterweise stehen genau diese am Schluss als Helden und als einzig integre Menschen da. Charlie, Jeffrey und Jasper sind Außenseiter in ihrer kleinen, von Vorurteilen geprägten Gesellschaft. Charlie, weil er völlig unsportlich, aber dafür sehr klug ist, Jeffrey, weil er und seine Eltern Vietnamesen sind (und das sind bekanntlich alles Kommunisten – der Kalte Krieg ist in vollem Gange!), und Jasper, weil er ein Halbblut ist und zudem aus problematischen Familienverhältnissen kommt. Ihm ist klar, dass er dran ist, wenn er selbst den Leichenfund meldet, einfach weil die Leute einen Sündenbock brauchen. Eine der interessantesten Wendungen im Buch ist die Tatsache, dass ausgerechnet er aufs Engste mit dem anderen, diesmal erwachsenen, Außenseiter, Jack Lionel, verbandelt ist. Auch dieser wurde aufgrund von Gerüchten an den Rand der Gesellschaft gedrängt, und keiner hat sich je die Mühe gemacht, die Wahrheit herauszufinden.

Allerdings ist das mit der Wahrheit auch so eine Sache. Charlie wünscht sich, er wüsste nicht soviel, denn er hat in diesem Sommer seine Unbeschwertheit verloren. Auf der anderen Seite nutzt er sein Wissen über Lionel, um vor seinen Schulkameraden als Held dazustehen. Wahrheit kann also durchaus nutzbringend eingesetzt werden.

Fazit: Die Geschichte ist fesselnd, mitreißend und regt zum Nachdenken an. Meines Erachtens nichts für den alltäglichen Jugendliteratur- oder Krimileser. Jugendliche, die das Buch gelesen haben, sollten die Möglichkeit haben, bei Bedarf über die Geschehnisse diskutieren zu können. Die Auflösung erfolgt lückenlos und ist trotz Vorahnungen erschütternd. Wer aber mal etwas anderes lesen will und sich drauf einlässt, für den ist dieses Buch auf jeden Fall empfehlenswert.