Nichts ist, wie es zu sein scheint

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
horrorbiene Avatar

Von

Dieser Teil ist erst der zweite Band, den ich aus dieser Serie lese. Doch Neuhaus‘ Schreibstil ist ähnlich dem in Schneewittchen muss sterben. Das Buch zeichnet sich dadurch aus, dass die Geschichte um die beiden Mordfälle aus vielen verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Da sind natürlich die beiden Hauptpersonen Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein: Bodenstein hat es in diesem Buch nicht leicht, versucht er doch neben der Bearbeitung des Falles sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Daher wird die meiste Ermitllungsarbeit in der Perspektive von Pia geleistet, die hier eindeutig mehr Hauptpart zugesprochen bekommen hat. Natürlich haben auch die Nebencharaktere und Bösen ihre Passagen, in denen aus ihrer Perspektive berichtet wird. Diese Konstruktion ist wieder einmal genial: Der Leser ist zwar stets auf dem aktuellen Stand der Dinge, erlebt Szenen, die dem Ermittlerduo noch unbekannt sind, blicken durch die Augen der Nebencharaktere und dennoch war mir stets unbekannt, wer denn nun wirklich der Mörder ist. Es ist mir unbegreiflich, wie man ein Buch schreiben kann, bei dem viele mögliche Täter aus ihrer Sicht die Geschichte erzählen, und es nicht klar ist, wer es denn letztlich nun war. Das Verwirrspiel ist hier wirklich groß gewesen und das hält die Spannung enorm hoch. In diesem Band ist wirklich kein Charakter, das was er zu sein scheint… Um die Geschichte nicht undurchsichtig werden zu lassen wird sie chronologisch erzählt und die jeweiligen Tage bilden die Kapitel. Trotzdem gibt es – gut gekennzeichnete – Rückblenden, die mehr Licht ins Dunkel bringen.
Als interessant empfand ich auch die Entwicklung die die beiden Hauptcharaktere genommen haben. Bodenstein ist nach der Trennung von seiner Frau nicht mehr ganz er selbst. Ich bin gespannt ob und wie er sich wieder fängt. Umso mehr hat Kirchhoff die Führungsposition eingenommen und leitet souverän die Ermittlungen. Leider hat bei ihr das Privatleben nur an einigen Stellen Platz in der Story bekommen. Dies finde ich schade, wachsen Leser und Ermittler so doch besser zusammen. Ohnehin habe ich manchmal das Gefühl, dass Neuhaus mehr Zeit mit den Nebencharakteren verbringt, um sie zu einem greifbaren und plausiblen Charakter zu machen und ihr Ermittlerduo gerät phasenweise zu sehr ins Hintertreffen. Das ist schade, denn die Nebencharaktere wechseln von Band zu Band, nur die Hauptfiguren bleiben gleich.
Das Buch lässt sich trotz der vielen Perspektiven sehr gut und leicht lesen und gerade durch diese Vielschichtigkeit der Perspektiven wird dieses Buch so unheimlich spannend, so dass man es nicht aus der Hand legen mag. Dennoch habe ich mir zwischenzeitlich gewünscht, dass es an der einen oder anderen Stelle etwas schneller vorwärts gegangen wäre. Ich könnte auch sagen, entweder hätten dem Buch 50 bis 100 Seiten weniger gut getan, oder diese Seiten wären bei den Perspektiven der Nebencharaktere zu Gunsten der Hauptcharaktere gekürzt worden.
Das mag jetzt vielleicht klingen, als hätte mir das Buch nicht so gut gefallen, doch im Grunde sind dies nur Punkte, die dieses wurderbar konstruiert und spannende Buch zu einem perfekten gemacht hätten. Doch welches Buch ist schon perfekt?

Fazit: Nele Neuhaus hat auch hiermit wieder einen vielschichtigen, tiefgründigen und sehr spannenden Kriminalroman zu einem aktuellen Thema geschrieben, der durch die vielfältigen Perspektiven und gut durchdachten Charaktere besticht. Wie man sich eine so verschachtelte Handlung ausdenken kann, ist mir ein Rätsel, aber ich will mehr davon!