Es gibt nicht nur eine Erinnerung

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viv29 Avatar

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In diesem recht kurzen Büchlein begegnen wir Isabella Krause, die für eine Fernsehproduktion Zeitzeugen finden soll, die über das Leben in der DDR berichten. Das Titelbild läßt das Thema sofort erkennen, vor dem im "mangelwirtschaftsmattblau" gehaltenen Hintergrund, das eine typische Trabant-Farbe war, blicken uns von zwei Fernsehbildschirmen diverse DDR-Symbole entgegen, wie das Sandmännchen, der Wartburg, der Fernsehturm und die Weltzeituhr.

Wir lernen Isabella als eher erfolglose Schauspielerin kennen und erfahren im Laufe des Buches durch ihre Erinnerungen Stück für Stück mehr über sie. Gerade die Erinnerungen an ihre Kindheit und an ihre teils ungewöhnliche Familie sind unterhaltsam zu lesen, in einer schönen Mischung aus amüsant und liebevoll. Überhaupt ist der Schreibstil eine Freude. Die Autorin hat ihren ganz eigenen Stil, trocken, prägnant, bildhaft. Ich habe schon nach einigen Seiten des Buches nachgesehen, welche Bücher sie noch geschrieben hat, denn sie fällt sprachlich angenehm auf.

Isabellas Auftrag für die Fernsehproduktion stößt uns gleich auf die gängigen Ost-West-Vorurteile, denn die Produktionsfirma ist aus dem Westen. Und wir sehen, daß auch fast genau 30 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht wirklich zusammengewachsen ist, was zusammengehört und gerade bei den Altersgruppen, die die Teilung noch bewußt miterlebt haben, die Vorurteile recht lebendig sein können.

Isabella schaut sich in ihrem eigenen Umfeld nach Zeitzeugen um und präsentiert so ein etwas betuliches Bild vom gemütlichen Dorf-/Kleinstadtleben, das den Westproduzenten nicht ins Konzept paßt. Diese in der Gegenwart spielenden Szenen wechseln immer wieder mit Isabellas Erinnerungen und auch ihren Gedanken darüber, wie diese DDR nun eigentlich war. "Das Gedächtnis war ein Kaufmannsladen, in dem Erinnerungen feilgeboten wurden. Einige gab es umsonst, andere waren bereits nach kurzem Nachdenken zu haben. Aber es gab auch Dosen und Schachteln, die sich nur mit Mühe öffnen ließen, und Schubladen, die hartnäckig klemmten" heißt es im Buch. So bekommt man im Mittelteil des Buches zunächst einen fast ostalgischen Eindruck, der die "bei uns konnte man sehr gut leben"-Leser sicher erfreuen wird. Kleine Bemerkungen weisen aber schon darauf hin, dass die DDR mehr war als Sandmännchen und Pittiplatsch. So denkt Isabella an ihren ersten Berlinbesuch und stellt fest: "Was war das für eine Grenze gewesen, an der die Soldaten das Gesicht dem eigenen Volk zuwandten und dem Feind den Rücken?"

Die Szenen, in denen die westdeutschen Fernsehleute mit den von Isabella ausgewählten Zeitzeugen aufeinandertreffen sind teils erhellend, teils für meinen Geschmack ein wenig zu skurril und erscheinen manchmal etwas plakativ. Manche Szenen (wie die in einem Altersheim für Künstler) strahlen in dem großartig beschreibenden Stil der Autorin, aber insgesamt war dieser Mittelteil des Buches eher durch die Erinnerungen Isabellas für mich lesenswert. Von den Gegenwartsszenen hatte ich mir mehr erwartet, weil gerade zwei davon einfach zu skurril sind und für mich die Chance verschenkt wurde, etwas mehr über das ganz normale DDR-Leben zu erfahren. Die Interviews mit einer Kindergärtnerin und einem Werksarbeiter hätten hier viel berichten können, waren aber zu kurz und dienten hauptsächlich dazu, die enttäuschten Erwartungen der Fernsehleute recht wiederholend darzustellen. Zum Ende hin gewinnt das Buch wieder, zeigt uns zudem auch einige der Facetten des Unrechtsstaates DDR, der in putzigen DDR-Museen und heiteren Ostprodukteläden gerne übersehen wird und verbindet diese gut mit Isabellas unbeschwerter Kindheit.

Denn genau das zeigt dieses Buch ausgezeichnet auf: es gibt nicht die "eine" wahre Erinnerung an die DDR (wie es ohnehin so gut wie nie die eine, wahre Erinnerung an etwas gibt). Die heiteren, gemütlichen Erinnerungen der einen haben ebenso ihren Platz wie die tragischen, dunklen Erinnerungen der anderen, solange man nicht vergißt, dass es viele kleine Puzzleteile gab, dass man Menschen nicht Jahrzehnte ihres durchaus zufriedenen Lebens in ihrem Heimatland absprechen darf, andererseits aber auch beschönigende Ostalgie fehl am Platze ist. Kathrin Aehnlich bringt uns diese viele Facetten hier nahe, ebenso wie die gegenseitigen Ost-West-Vorteile und das Gefühl vieler Ostdeutscher, vom Westen nicht ganz für voll genommen zu werden. Auch hier wird es an einzelnen Stellen ein wenig zu plakativ, zu offensichtlich für mich, aber insgesamt bringt uns "Wie Frau Krause die DDR erfand" das Ost-West-Thema durchaus gelungen dar und liefert zahlreiche Impulse, das eigene Bild, die eigenen Vorstellungen und (Vor)urteile zu hinterfragen.