Herrlich absurde, lustige, rührende und philosophische Essays

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scarletta Avatar

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Wer fragt mich im Alltag schon nach meiner persönlichen Haltung zu bestimmten geochronologischen Epochen? Aber zum Menschen als bedeutenden Einflussfaktor auf die natürlichen Prozesse auf der Erde habe ich durchaus eine Meinung. Wie fatal er hier mit zunehmenden Maße wirkt, wird ja nur zu klar.
Der Bestsellerautor John Green stellt nun jedoch seinen Leser*innen eine solche Frage auf ungewohnte Art.

Tatsächlich muss ich gestehen, dass mich weniger der Name des recht bekannten Romanautors John Green, sondern der Titel dieses Buches: „Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?“ gelockt hat. Was die Leserschaft erwarten könnte, wird gleich mit auf den Weg gegeben: „Notizen zum Leben auf der Erde“. Doch, das hört sich eher humorvoll, denn todernst an. Bei seinem ersten Sachbuch hat sich Green offensichtlich gleich die Menschheitsgeschichte als Objekt gewählt. Das Anthropozän ist das aktuelle, von Menschen geprägte Erdzeitalter. Ein sportliches Unterfangen.

John Green begann „The Anthropocene Reviewed“ 2018 als einen Podcast, der den Planeten Erde menschenbezogen betrachten sollte. Einige der Podcast-Ausgaben hat er für dieses Buch zu 44 Essays zusammengefasst. Seine Notizen über die Welt sind dabei höchst persönlich.

„eine Art skurriler Autobiographie, einen Weg der Selbsterkenntnis anhand der Dinge, die mir wichtig waren.“ S. 246

Green gelingt dabei eine Bandbreite von Themen von der Beulenpest bis zu Monopoly. Dabei vergibt er jedem Thema Punkte auf einer Skala von 1 bis 5.
Mir hat gefallen, dass Green neugierig genug ist, Bedeutung in Dingen zu finden, die auf den ersten Blick bedeutungslos oder belanglos zu sein scheinen. Ganz unerwartet steht man vor spannenden geschichtlichen Ereignissen, menschlichen Wendepunkten, tiefen philosophischen Fragen, absurden oder lustigen Enden. Tatsächlich lernt man etwas Überraschendes über die Welt, nimmt tiefergehende Fragen oder neue Herangehensweisen mit.

„Wenn die Erde mal mit uns fertig sein sollte, wird es heißen: „Na, so toll war das ja nicht mit diesem Befall mit Menschen, aber wenigstens habe ich kein Großasteroidensyndrom bekommen.“ S. 29

Wie sehen die anderen Teamplayer auf dem Planeten uns Menschen? Wie würden sie das Anthropozän bewerten? Green lässt daran keinen Zweifel:

„Schon jetzt ist der Mensch eine ökologische Katastrophe. … Für viele Lebensformen ist die Menschheit deshalb die Apokalypse.“ S. 28

Green schreibt dieses Buch mitten in einer Pandemie-Situation, was natürlich auch nicht spurlos an seiner Sichtweise vorbei gehen kann. Nie hat man deutlicher gemerkt, wie veränderbar die sogenannte „Normalität“ ist.

„Aber in den frühen Stunden des Jahres 2021, in denen ich dies schreibe, scheint es komplett widernatürlich, ein Kino überhaupt zu betreten. Für Menschen ändert sich das „Natürliche“ ständig.“ S. 89

Daneben ist es immer eine sehr persönliche Sichtweise, wie man an den Abstechern in Spezialitäten seiner Heimat Indiana wie z.B. das ganz spezielle meteorologische Phänomen des „Wintermixes“ sieht. Hier und auch an manch anderen Stellen spürt man etwas die Orientierung ans amerikanische Lesepublikum, was der Lesefreude aber keinen Abbruch tut.

Fazit
Green erkundet an ganz persönlichen Themen, was es bedeutet in dieser Welt zu leben. Selbst wenn Kanadagänse oder das Googlen von Fremden seine Ausgangspunkte sind, stößt er doch immer wieder an sensible Punkte des Menschseins, die sehr berühren.

Für unsere derzeit etwas ausgekoppelte Weltsituation versucht er dabei ein wenig Balsam zu stiften. Mal absurd, mal humorvoll, dann wieder schmerzlich oder zum Philosophieren anregend, doch vor allem immer wieder sehr empathisch wie auch kurzweilig ist dieser Rückblick auf unser geologisches Zeitalter. Vor Überraschungen ist man in diesem Buch nie gefeit. Da verweist Green auf die Anfangssequenz des Films „Die Pinguine aus Madagaskar“:

„Aber wie sollten wir den Absurditäten des Anthropozäns auch sonst begegnen?“ S.124

Mein persönlicher Kritikpunkt: ich finde das Cover vollkommen nichtssagend. Trotzdem: eine Leseempfehlung gibt es von mir auf jeden Fall.