John le Carré meets Supergirl

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Nina Winter, Analystin beim BND, wird ausgewählt, um als „Verbindungsführerin“ eine sogenannte Quelle in Moskau zu führen. Rem Kukura, ein Offizier des KGB, hat sie namentlich verlangt. Das bedeutet, vor Ort zu sein und alles an Informationen entgegenzunehmen, was diese Quelle liefern kann. Ein großer Kunstfehler ist es, so erfährt sie bei ihrer Blitzausbildung, sich emotional auf ihre Quelle einzulassen. Und doch tut sie nach kürzester Zeit genau das – mehr noch, sie verliebt sich in den Sohn dieser Quelle. Erfahrungsgemäß werden Quellen nicht alt. Und so beschließt sie, Vater und Sohn aus Russland herauszuholen.

Der Roman spielt Anfang bis Mitte der 80er Jahre; der kalte Krieg ist noch in vollem Gange und jeder falsche Schritt der Geheimdienste kann einen Atomkrieg auslösen. Pflüger schreibt unglaublich filmisch, es würde mich nicht wundern, von einer Verfilmung zu hören. Von Anfang an spult sich beim Lesen permanent Kopfkino ab; die Gegensätze des Moskauer Stadtbilds, das Nebeneinander von Protz und Plattenbau, der in den 80ern noch spärliche Verkehr, die leeren Prospekte, die Kälte, die Schlangen vor den Läden. Dagegen das satte, selbstzufriedene München mit seinem alten Geld und seiner Dekadenz und das links-alternative Berlin vor dem Mauerfall.

Wichtiger Schauplatz des Romans ist die mit viel nationaler Bedeutung aufgeladene Glienicker Brücke, die Pflüger gleich als Erstes umstandslos in die Luft sprengt. (Das wird so realistisch beschrieben, dass ich ganz besorgt gegoogelt habe: Sie steht noch…!) Wie ist es zu dieser Situation gekommen? Die Story ist ein Spur verschlungener, als es einem Thriller gut tut; dennoch ist der Roman ungemein fesselnd. Das liegt auch an der Action-Haltigkeit des Romans - Pflüger ist nicht zimperlich in seinen Szenarien.

Nach seiner Trilogie um Jenny Aaron hat der Autor nun mit Nina Winter eine weitere weibliche Superheldin geschaffen. Nina spricht 6 Sprachen, läuft drei Mal die Woche die Marathonstrecke und ist jedem ihrer meist männlichen Verfolger an Fitness haushoch überlegen. Das muss sie auch sein, den jeder ihrer Kontrahenten würde ihr zu gerne beibringen „Wie Sterben geht“. Unscheinbar ist sie nur ihrer eigenen Einschätzung nach. Die Figur Nina steht in der Tradition von James Bond, nur ohne den Sexismus. Ich fand Nina faszinierend. Natürlich kann man die Wahrscheinlichkeit ihrer Erfolge in Zweifel ziehen – sie ist Anfängerin in ihrem Job. Das war für mich aber überhaupt kein Thema; im Gegenteil fand ich es ungeheuer befriedigend zu lesen, wie Mut, Talent und Entschlossenheit jedes Hindernis beiseite fegen - auch und gerade dann, wenn es mitten durch die Angst und den Schmerz geht.

Ich mochte die Charaktere, die rotzig-geschliffenen Dialoge, den Witz darin. Aber auch die Action, das Helldunkel, die Gegensätze. Die permanente Unsicherheit eines Agentenlebens, das ständige Misstrauen, die Vorsicht, die Wachsamkeit, all das hat seit John le Carré niemand mehr so eindrücklich beschrieben. Vor allem aber mochte ich die Sprache: Pflüger weiß damit umzugehen. Seine Sätze haben Rhythmus und erzeugen Tempo, seine Metaphern sind expressiv, manchmal brachial, die Verben treffend, die Vergleiche kraftvoll. „Ihr war, als würde sie mit nackten Füßen über Glasscherben spazieren.“ „Seine Haut spannte über dem Gesicht wie eine Strumpfmaske.“ „…die Brücke, eine avantgardistische Skulptur aus Stahl und Angst.“

Die Story switcht ständig vom Katastrophenszenario der Eingangsszene in die Vergangenheit und wieder zurück. Bis zum Schluss bleibt unklar, ob Nina die Explosion des Anfangskapitels überlebt hat. Das Finale führt uns aus dem winterlichen Russland an die frühlingsmilde Cote d´Azur und bleibt damit dem Prinzip des Kontrastes treu. Nach alldem kann es doch wohl kein Happy End geben?

Gibt es auch nicht. Oder doch? Lesen Sie selbst!