Schön entschleunigtes Buch

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chocalaccino Avatar

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„In einem Apfelkern steckt ein unsichtbarer Obstgarten.“
Mit diesem walisischen Sprichwort beginnt Caryl Lewis einen Roman, der wie ein leiser Atemzug wirkt: still, verhalten und getragen von der walisischen Landschaft.

Wilder Honig erzählt von drei Frauen, die, jede auf ihre Weise, einen Neuanfang wagen. Ihre Wege verweben sich im Rhythmus der Natur, in den Erinnerungen an Vergangenes und in den Spuren von Verlust und Hoffnung.

Lewis schreibt mit großer sprachlicher Schönheit. Fast jede Seite birgt Sätze, die man markieren und wiederlesen möchte, wie kleine Kostbarkeiten, die aufblitzen und verweilen. Doch gerade diese poetische Dichte lässt die Handlung fast ins Hintertreffen geraten. Statt greifbarer Figuren begegnet man oft eher ihren Gedanken, den Bildern der Natur, den geheimnisvollen Bienenbriefen oder den Sprüngen durch die Zeit.

Für manche Leser*innen mag darin der Zauber des Buches liegen – das langsame Versinken in eine Welt der Stille, das Verweilen zwischen den Zeilen.
Für mich jedoch blieb die Geschichte trotz ihrer sprachlichen Feinheit zu fern. Die Frauenfiguren, um die sich alles rankt, blieben mir auf Distanz, und die erzählerische Ruhe wurde zu einer Schwere, die mich nicht erreichen konnte.

Und doch: Wilder Honig ist ein Roman, der viele berühren dürfte, gerade jene, die sich nach einem entschleunigten, nachdenklichen Leseerlebnis sehnen. Ein Buch, das mehr betrachtet als erzählt, das mehr fühlt als vorantreibt.

Ein Werk wie ein stiller Obstgarten: für manche ein Ort der Erneuerung, für andere ein Raum, der zu leise bleibt.