Wunderschöne Kulisse, aber auf Abstand erzählt

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steffmcfly Avatar

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„Wilder Honig“ besticht durch eine sanfte, melancholische Grundstimmung und ein Setting, das sofort eine besondere Atmosphäre erzeugt. Der abgelegene Hof in Wales, eingebettet in die Natur, wirkt wie ein Ort außerhalb der Zeit – ein Rückzugsraum voller stiller Schönheit. Besonders gelungen fand ich die naturbezogenen Passagen: die poetischen Beschreibungen des Obstgartens, das leise Summen der Bienen, die kleinen biologischen und symbolischen Verweise – all das verleiht dem Roman eine gewisse Tiefe und Ruhe, die mich sehr angesprochen haben.

Leider konnte mich die Handlung emotional nicht so recht erreichen. Die Figuren – allen voran Hannah – bleiben seltsam schemenhaft. Obwohl angedeutet wird, dass sich bei ihr innerlich etwas verändert, konnte ich diese Entwicklung nicht wirklich mitfühlen. Es war, als würde man die Charaktere immer nur durch eine Glasscheibe beobachten – man sieht ihre Bewegungen, hört ihre Worte, aber kommt ihnen nie wirklich nahe. Dadurch fiel es mir schwer, eine Verbindung zu ihnen aufzubauen oder echtes Mitgefühl zu empfinden.

Ein weiterer Punkt, der mich gestört hat, waren die sprunghaften Zeitsprünge. Immer wieder vergehen Tage, manchmal Wochen, ohne dass klar wird, was dazwischen passiert ist – und ohne dass diese Auslassungen erzählerisch aufgefangen werden. Das ließ den Erzählfluss mitunter holprig wirken und erschwerte es, emotional dranzubleiben. Vieles blieb an der Oberfläche, als würde man durch ein schönes, aber leicht beschlagenes Fenster auf die Geschichte schauen – man erkennt die Umrisse, aber nicht die Details.

Unterm Strich ist Wilder Honig ein Roman mit starkem Setting und atmosphärischer Dichte, der inhaltlich aber leider nicht das hält, was er sprachlich und thematisch verspricht. Wer sich gern in Naturbildern verliert, findet hier schöne Stellen zum Verweilen. Wer jedoch eine tiefgehende Charakterentwicklung und emotionale Nähe sucht, wird womöglich eher enttäuscht sein. Für mich war es ein solides, aber nicht bleibendes Leseerlebnis – daher 3 von 5 Sternen.