V wie verrückt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
marapaya Avatar

Von

Verrückt, verschroben, spannend, durchgeknallt, fern der Realität, kauzig und überraschend unterhaltend gestaltet sich Jackies Suche nach King City und dem Mann mit dem braunen Hirschlederkoffer. Zuviel will man vom Inhalt eigentlich nicht verraten, denn richtig umfassend ist die tatsächliche Handlung nicht. Jackie ist 19 – seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten, so genau weiß das keiner – und arbeitet im Pfandhaus von Night Vale. Sie ist es gewohnt alles anzunehmen, was man ihr bringt und eines Tages drückt ihr ein Mann mit einem braunen Hirschlederkoffer einen Zettel in die Hand, auf dem KING CITY steht. Seit diesem Moment kann Jackie den Zettel nicht mehr loswerden und trägt ihn unablässig in der Hand – ob sie will oder nicht. Also verlässt sie ihren Posten im Pfandhaus und versucht heraus zu finden, wie sie dieses Phänomen wieder loswird und in ihre geliebte Routine zurückkehren kann. Einen großen Teil des folgenden Abenteuers gestaltet sie mit Diane, die einen Gestaltwandler als Sohn hat und sich plötzlich an jeder Ecke und zu jeder Tages- und Nachtzeit mit ihrem Ex-Freund Troy, dem verschwundenen Vater von Josh, konfrontiert sieht. Alle Spuren deuten nach King City, nur Jackie und Diane kommen einfach nicht aus dem verrückten Night Vale heraus.
Tatsächlich ist die Handlung mit diesem kurzen Abriss mehr oder weniger erzählt. Das Besondere an diesem Roman aber sind seine schrägen Figuren, die Art und Weise, wie unsere Sprache von den Autoren verwendet wird und wie alltägliche, bekannte Handlungen durch kleine formulierende Abweichungen eine ganz neue, verrückt wirkende Bedeutung bekommen. Der einem leidenschaftlichen Leser wohl anheimelnste Ort neben der Buchhandlung wird von fiesen Monsterbibliothekaren bevölkert. Ein Besuch in der Bibliothek kann einem dadurch schnell das Leben kosten. Die Stadträte sind in Night Vale das, was manch einer heute insgeheim von Politikern denkt: gefährliche, unberechenbare Wesen mit einer gewissen Mordlust an ihren Bürgern. Am witzigsten ist mir die Verballhornung der allwissenden Wissenschaft: Wissenschaftler tragen weiße Kittel und schreiben ganz lange Gleichungen auf ihre Whiteboards oder geben ganz viele Daten in wichtig aussehende Geräte hinein. Das schafft Wissen, aber keine Bedeutung oder Erklärung. Die Zeit in der Wüstenstadt im Nirgendwo folgt ihren eigenen Regeln, welche genau lässt sich für alle einschließlich des Lesers nur interpretieren, aber das bringt auch starke Kopfschmerzen. Night Vale ist ein gefährlicher wie interessanter Ort und lässt man sich auf die Geschichte und das schräge Erzählen ein, dann kann es recht vergnüglich werden. Für zwischendurch hat mich der Roman erheitert, aber nun sehne ich mich wieder nach einem Buch, in dem mir die erzählte Realität keine Knoten in meine Gehirnwindungen faltet.