Ums Leben schwimmen

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johannaberger Avatar

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Immer wieder findet Ida ihre tote Mutter. Besonders nachts im Schlaf.

Sie war nach Prag gefahren, hatte die alkoholkranke Mutter zuhause alleingelassen. Sie war sich bewusst gewesen, dass die Alkoholikerin den Lebenswillen verloren hatte. Jetzt, nach dem Tod der Mutter fühlt sie sich schuldig. Sie flieht. Ein „Wutklumpen“ sitzt ganz tief in ihr drin. Sie fährt aber nicht zu ihrer so tüchtigen Schwester Tilda, die man aus dem Vorgängerroman „22 Bahnen“ auch schon kennt. „Der Wutklumpen beginnt zu lodern, will Tilda wehtun und sagt: ‚Ich brauche keine Hilfe, Tilda. Du bist gegangen, und jetzt ist alles so, wie es ist, und du kannst es nicht mehr ändern. Sie ist tot. Und ich bin noch da. Und das ist mein Leben. Nicht deins.‘“ Die „Dramaqueen“ neigt zu unkontrollierten Ausbrüchen.

Die Wohnung, die noch voller Schmerz ist, hat sie gekündigt, aber nicht ausräumen können. Auf die Beerdigung der Mutter hat sie es nicht geschafft. Sie kann nicht mehr. Eher zufällig landet sie allein auf Rügen. Zufällig findet sie dort eine beinahe intakte Familie. Die mütterliche Marianne backt und kocht. Das gemeinsame Essen kann auch heilen, nicht mehr nur Wunden aufreißen wie zuhause. Hier ist es Symbol für Zuneigung und Geborgenheit. Aber auch die droht dann wieder verloren zu gehen.

Der Roman wird konsequent aus Idas Perspektive erzählt. Ihr Schmerz dringt ungefiltert durch. Erinnerungen an die Mutter, die seltenen Gelegenheiten, an denen die fähig war, ihrer Tochter Essen zu kochen. Die gemeinsamen Fernsehvormittage. Andauernde Schuldgefühle, vor denen sie buchstäblich wegläuft und wegschwimmt. In diesem Roman nicht 22 Bahnen in einem sicheren Schwimmbecken im Freibad, sondern bei Wind und Wetter in der rauen Ostsee. Dabei ist die Geschichte zwischendurch gar nicht so traurig, wie es vielleicht scheint. Der sarkastische Humor der Erzählerin Ida bricht sich oft Bahn, besonders in den kurzen Dialogen und den Chatnachrichten, die sie mit ihrer neuen Bekanntschaft, dem DJ Lars austauscht. Idas Lebenswille ist nicht gebrochen.
Auf einem Spaziergang mit ihrer Ersatzmutter Marianne findet Ida Muscheln, die sie mitnimmt. Eine heißt Gemeine Herzmuschel, erfährt sie. Eine andere gefällt ihr daraufhin noch besser, die ist leicht beschädigt. Schöne Symbole für ein zu Herzen gehendes, schönes Buch.

Wer „22 Bahnen“ mochte, dem wird auch „Windstärke 17“ gefallen. Leseempfehlung!