Die Goldenen Zwanziger

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bücherkarin Avatar

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Der Roman ist eine wundervolle Milieustudie des Berlin der zwanziger Jahre. Die zwanziger Jahre, von denen wir schon so viel gehört haben; am anfang der totale Zusammenbruch der Wirtschaft, die Inflation, die Zeit in der ein Brot früh 1 Million und abends schon 1 Billion kostete.......... Und dann der Aufschwung, "die Goldenen Zwanziger Jahre", die Zeit des Charleston, der Musikrevue, der emanzipierten Frauen, die jetzt kurze Röcke, Hosenanzüge und Bubiköpfe trugen.
Genau diese Jahre bringt uns der Roman nahe, indem er das Leben der Charlotte Berglas, ihre Entwicklung von der verweifelten mittellosen Witwe zur erfolgreichen Fotografin, stolzen Mutter und neu verliebten Frau beschreibt.
Im Sommer 1923 leiden auch Albert und Charlotte Berglas unter den ständigen Teuerungen, aber sie können noch eine große Wohnung ihr eigen nennen und es finden sich auch noch genügend Dinge, die veräußert werden können, um sich mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Albert hat seine feste Anstellung als Fotograf vor einem halben Jahr verloren und es gibt keinerlei aussicht auf einen neuen Job. In seiner Verzweiflung sieht er nur noch den Weg, sich im Landwehrkanal das Leben zu nehmen. Seine Frau Charlotte, eine begeisterte Hobbyfotografin, die sich so mit Albert auf ihr Kind gefreut hatte, will es lange Zeit nicht wahrhaben, dass Albert Selbstmord begangen hat. Aber nach der ersten tiefen Verzweiflung regt sich ihr Lebenswille, schließlich trägt sie auch die Verantwortung für das Kind, Alberts Kind.
Ihr windiger Bruder Gustav, der mittlerweile im kriminellen Milieu zu hause ist, bringt sie schließlich dazu, die Wohnung zu vermieten, um so zu etwas Geld zu kommen. Und so haben wir bald eine zusammengewürfelte Gesellschaft im 2. Stock der Winterfeldtstraße: Die beiden Kleinkriminellen Gustav und seinen Freund, der Lange, die lesbische Bardame Claire und den vornehmen, immer höflich lächelnden aber undurchsichtigen Theo von Bamberg.
So ein Zusammenleben bringt viele Probleme mit sich, aber Charlotte - und später natürlich auch ihr Töchterchen Alice - haben die Mieter gut im Griff.

Es liest sich sehr interessant, wie sich mit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung auch die einzelnen Personen entwickeln und welche unterschiedliche Wege sie einschlagen. Als erstes natürlich Charlotte, die nach vielen Rückschlägen und Selbstzweifeln und mit der Unterstützung ihrer Mieter sich schließlich doch ihren Wunsch erfüllt und ein eigenes Fotoatelier eröffnet.
Als sehr bemerkenswert empfand ich auch die beschriebene Entwicklung des Langen, weil sie in dieser Zeit sicher typisch für viele Jjugendliche gewesen ist. Der Lange himmelt die 10 Jahre ältere Charlotte an, sie behandelt ihn immer freundlich und ist ihm auch sehr dankbar, dass er sich so liebevoll um Alice kümmert. So sieht der Lange sich schon als Familienvater und ist schwer enttäuscht, dass Charlotte seine Liebe nicht erwidert. Trost findet er im Fußballverein Olympia, wo bald außer dem Fußballspiel auch schon sehr viel marschiert wird. Und der Lange marschiert sehr gern, marschieren ist besser als nachdenken, wenn man Schritte zählt, muß man sich keine unangenehmen Gedanken machen. Und bei den Kameraden findet er auch die Anerkennung, die er woanders nicht bekommt. So ist es nicht verwunderlich, dass er mit dem Fußballverein dieser neuen Partei beitritt, deren politischen Ziele den Langen eigentlich gar nicht interessieren.

Es gibt viele Erlebnisse, Probleme und auch Rückschläge, aber endlich kann sich Charlotte auch vorbehaltlos ihrer neuen Liebe öffnen. Und auch wenn der Roman 1929 endet, so können wir nur wünschen, dass sie und ihre Familie auch die den Goldenen Zwanzigern folgenden schlimmen Jahre couragiert durchstehen wird.

Ein eigentlich "historischer Roman", aber die Personen sind so lebendig, man kann sich in sie hineinversetzen, fühlt mit ihnen mit, manchmal ist man direkt versucht, ihnen Ratschläge zu geben. einfach ein bemerkenswertes Buch!
Wobei ich an dieser Stelle auch sagen möchte, dass ich noch nie von einem Roman aus dem Marion von Schröder Verlag enttäuscht worden bin.