München 1920

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Angelika Felenda verfolgt in ihren historischen Kriminalromanen ein interessantes, aber auch ein etwas heikles Vorhaben: sie sollen bayrische oder genauer noch Münchner Geschichte der Jahre 1914 bis 1933 illustrieren.
Historische Kriminalromane gibt es nun zuhauf und Volker Kutscher deckt mit seinen in Berlin spielenden Krimis einen ähnlichen Zeitraum, nämlich von 1929 bis zunächst 1933, sehr überzeugend ab.
Felendas Konzept ist ehrgeiziger und schwieriger durchzuführen, will sie doch einen Bogen spannen vom Vorabend des ersten Weltkriegs ( das erste Buch ist im Sommer 1914 angesiedelt) bis zum Wahlsieg Hitlers ( der dritte Band soll 1933 spielen). Und das mit demselben Ermittlerteam um den sympathischen, bescheidenen Kommissar Reitmeyer.
Der nun vorliegende zweite und mittlere Teil nimmt das Jahr 1920 ins Visier. Es ist die Zeit der Freicorps und Einwohnerwehren, des erstarkenden Nationalsozialismus, der Dolchstoßlegende, der Putschversuche und großen materiellen Not in weiten Teilen der Bevölkerung.
Andere Bevölkerungsgruppen gingen aus dem Krieg finanziell fast unberührt hinaus oder haben sich daran sogar bereichert. Die Schere zwischen Arm und Reich klaffte weit auseinander. Viele Frauen wussten keinen anderen Weg aus der Armut hinaus als den in die Prostitution. Auch wenn die Träume ganz andere waren. Zum Beispiel der vom Erfolg in der gerade aufblühenden Filmindustrie.
So ging es auch Cilly Ortlieb und Marie Zaumgiebel, zwei jungen Statistinnen aus Rosenheim, die in München Schauspielerinnen werden wollten. Ihr Geld verdienten sie dann auf anderem Wege und schreckten auch vor der ein oder anderen Erpressung ihrer „Herrenbekanntschaften“ nicht zurück. Ein leichtsinniges Unterfangen, denn beide werden ermordet aufgefunden.
Sebastian Reitmeyer ermittelt, soll aber, als bald die Spur zu rechtsgerichteten Kreisen und der Einwohnerwehr führt, möglichst nicht zu tief graben. Dabei begegnet er der Berliner Studentin Gerti Blumfeld, die auf der Suche nach ihrer verschollenen Schwester ist und alsbald auch ins Zentrum der Ereignisse gerät.
Angelika Felenda muss nun die Geschehnisse und Entwicklungen von sechs sehr ereignisreichen Jahren überbrücken, den Personen sowohl treu bleiben, als auch ihre Veränderungen plausibel machen. Das gelingt ihr ausgesprochen gut. Wo es manchmal hakelt, sind die kleinen Dinge, zum Beispiel, dass der Polizeischüler Rattler auch nach all dieser Zeit noch Polizeischüler ist. Aber das brachte die Leserin eher zum Schmunzeln, als dass es sie verärgerte.
Vom geschichtlichen Hintergrund darf nicht zu viel erwartet werden. Die Geschehnisse sind zwar gut recherchiert und das Ganze durchaus informativ, bilden aber in erster Linie nur Eckpunkte, an denen die Geschichte aufgespannt wird. Was der Autorin aber ganz ausgezeichnet gelingt, ist die atmosphärische Schilderung. Die Varietés, die Spelunken, die hochherrschaftlichen Wohnungen wie die dunklen, feuchten Kellerzimmer, die aufgebrachte Stimmung auf den Straßen, das selbstherrliche Auftreten der rechtsgerichteten Verbände, die kreischenden Trambahnen und die dunklen Hinterhöfe – all das erscheint ganz bildlich vor Augen. Auch sprachlich ist der Roman sehr solide.
Gegen Ende nimmt die eher beschauliche Ermittlung ein wenig zu sehr Fahrt auf, da knirscht es auch ein wenig in der Handlung und wird das ein oder andere ein wenig unplausibel und unwahrscheinlich. Aber da sich die Leserin bis dahin gut und durchaus klug unterhalten gefühlt hat, fällt das nicht groß ins Gewicht.
Der dritte und letzte Band der Reitmeyer-Reihe soll dann kurz vor Hitlers Machtübernahme angesiedelt sein. Der Zeitsprung ist dann noch größer. Man kann gespannt sein, ob Angelika Felenda ihr Personal wieder genauso souverän dorthin führt. Und ob Korbinian Rattler dann immer noch Polizeischüler ist.