Winterkrieg

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Als Winterkrieg wird der von November 1939 bis März 1940 um territoriale Ansprüche geführte Krieg zwischen der Sowjetunion und Finnland bezeichnet.
Zeitlich ähnlich verortet, nämlich von November bis März, geht es in dem Debütroman von Philip Teir aber um ganz andere Kriegsschauplätze, nämlich denen einer finnischen Familie und im speziellen einer langjährigen Ehe.
Max Paul, anerkannter Soziologe arbeitet an einer Biografie über Edvard Westermarck, den bedeutenden Philosophen und Sozilogen der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Es will nicht so recht vorangehen und sein 60. Geburtstag naht. Wie bei vielen Altersgenossen auch ein Datum, das Fragen aufkommen lässt über das vergangene Leben, die noch verbleibende Zeit, die eigene Attraktivität auch auf das andere Geschlecht. Max Bilanz sieht gar nicht so trostlos aus, eigentlich ist er ganz zufrieden, wäre da nicht die hübsche, junge Journalistin Laura... Kein neues Thema, aber immer wieder aktuell. Auch nicht neu, dass seine Frau Katriina die ganze Sache etwas anders sieht. Unzufriedenheit und Überdruss fühlt sie schon geraume Zeit in der Ehe. Beruflich erfolgreich, sucht sie einen Ausweg. Die beiden Töchter leben unterschiedliche Lebensmodelle: Die ältere Helen ist Lehrerin, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Dass das vermeintliche Familienglück auch Risse aufweist, zeigt sich, als Ehemann Christian zunehmend Zeit mit einem neuen Freund verbringt. Eva, die jüngere Tochter, ist die typische Vertreterin einer Generation, die nicht erwachsen werden will. Sie nimmt mit fast 30 ein Kunststudium in London auf, lässt sich mehr oder weniger treiben, u.a. ins Bett ihres Dozenten, wird schwanger, will die Verantwortung für dieses Kind aber natürlich nicht übernehmen, treibt ab. Erst allmählich verändert sie sich, als sie den Occupy-Aktivisten Russ kennenlernt.
Die Konstellationen sind so neu nicht. Die Familie Paul, ihre Freunde und Bekannte sind Vertreter einer typischen Gesellschaftsschicht, wie sie überall auf der Welt lebt. Deshalb ist auch der finnische Aspekt an diesem Roman relativ klein. Ein wenig erfährt man über die finnische Lebensweise, hin und wieder wird die finnische Landschaft geschildert. Aber die Menschen sind global vernetzt, man lebt ein paar Jahre in den USA oder in London, arbeitet auf den Philippinen. Das Ungenügen am eigenen Leben, der Überdruss, die Suche nach einem Sinn und einem Neuanfang, der Widerstreit zwischen der Sehnsucht nach Freiheit und der nach Geborgenheit sind ihnen mit vielen ihrer Standesgenossen quer über den Erdball gemein.
Auch wenn man genau das schon viele Male gelesen hat, überzeugt Philip Teir durch psychologisch glaubhafte Menschenschilderungen und einen ansprechenden, unterhaltsamen Stil.