Der Mensch im Vordergrund

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tochteralice Avatar

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Johann Scheerer, der Sohn von Jan Phillip Reemtsma meldet sich zu Wort. Nach über 20 Jahren spricht er über die Entführung seines Vaters. Es geht nicht um die Ereignisse an sich, nein, es geht um die Menschen um Reemtsma, seine Frau, seinen Sohn, seine engsten Vertrauten. Wie haben sie die schwere Zeit empfunden, wie ist es ihnen so ergangen.

Johann Scheerer war damals ein Jugendlicher, dreizehn Jahre alt, ein Teenager im wahrsten Sinne des Wortes. Und er kann sich noch gut an seine damaligen Empfindungen erinnern - und konfrontiert den Leser - und auch sich selbst, möchte man meinen - schonungslos damit. Er hatte es nicht einfach - einerseits wurde er geschont, andererseits gerade dadurch auch wieder besonders hart drangenommen - so verbrachte er bspw. einen Teil der ersten zwei Wochen weit weg vom heimatlichen Hamburg in Augsburg bei Verwandten seiner Mutter. Dort war er im wahrsten Sinne des Wortes fernab vom Schuss - weg von der Schusslinie potentieller Verbündeter oder auch Nachahmer, aber auch fernab von den täglichen Gesprächen seiner Mutter mit ihren Vertrauten. Und mit der Polizei, die gegen den Willen der Entführer von Beginn an - nicht aber bis zum Schluss - involviert war.

Es war eine Entführung abseits der Öffentlichkeit: es gelang, die Presse weitestgehend herauszuhalten, was aber auch eine Zurückhaltung aller Beteiligten - auch des jungen Johann erforderte. Seine Perspektive des Erlebten schildert er eindringlich, offen und ehrlich. Er versucht nicht, heldenhaft oder zumindest gelassen dazustehen, nein, er öffnet sein Herz und sein Hirn dem Leser.

Eine harte Zeit waren die 33 Tage der Entführung - umso tapferer ist es, dass Johann Scheerer sich dieser Zeit noch einmal stellt und die Öffentlichkeit hineinlässt in seine damalige Welt und die seiner Familie. Ein sehr persönliches, einfühlsam und gekonnt geschriebenes Buch und eine lohnenswerte Lektüre nicht nur für Leser, die sich für die Reemtsma-Entführung interessieren, sondern auch für solche, denen das Miteinander von Familien am Herzen liegt.