Vererbte Wunden – wie familiäre Muster Generationen prägen

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Valerie hatte schon immer ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter. Als diese an Krebs erkrankt, wird von Valerie erwartet, sich liebevoll um sie zu kümmern – doch ist das wirklich das, was sie selbst möchte? Und tut ihr das überhaupt gut?

Gleichzeitig verkündet ihr 16-jähriger Sohn Tobi, dass er ein Schuljahr in England verbringen möchte. Valerie steht diesem Vorhaben mit gemischten Gefühlen gegenüber: Wird Tobi ohne sie zurechtkommen? Wer wird sich um ihn kümmern?

Im Verlauf des Romans spannt Felicitas Prokopetz einen Bogen über mehrere Generationen – bis zurück zu den Ururgroßeltern – und zeigt eindrücklich, wie tief Familiendynamiken und Traumata über Jahrzehnte hinweg wirken können. Liegt hier bereits der Ursprung für die schwierigen Beziehungen in der Gegenwart?

Der Roman ist kapitelweise aus der Perspektive unterschiedlicher Figuren erzählt. Dadurch erhält man tiefe Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt. Gleichzeitig erfordert diese Erzählweise einiges an Aufmerksamkeit: Aufgrund der Vielzahl an Charakteren fiel es mir stellenweise schwer, den Überblick zu behalten und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zueinander sofort zu erfassen.

Die Figuren waren mir persönlich nicht besonders sympathisch. Dennoch konnte ich durch die intensiven Schilderungen ihrer Kindheits- und Lebenserfahrungen – besonders im Hinblick auf zwischenmenschliche Beziehungen – viele ihrer Verhaltensweisen nachvollziehen. Trotz - oder vielleicht gerade wegen - ihres teils verstörenden Verhaltens entwickelte ich ein gewisses Mitgefühl für sie.

Felicitas Prokopetz gelingt es eindrucksvoll, aufzuzeigen, wie tiefgreifend familiäre Traumata wirken können, wenn sie nicht verarbeitet werden. Jede Generation hat mit ihren eigenen inneren Konflikten und Verletzungen zu kämpfen – und gibt diese in anderer Form weiter.

„Wir sitzen im Dickicht und weinen“ empfehle ich allen, die sich für generationsübergreifende Konflikte und komplexe zwischenmenschliche Beziehungen interessieren – und bereit sind, sich auf eine schonungslose, aber ehrliche Auseinandersetzung mit familiären Mustern einzulassen.