Eine Geschichte für jeden, der Gefühle zulassen kann

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kianu Avatar

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Als ich gelesen habe, dass die Drehbuchautorin von Keinohrhasen, Anika Decker, ein Buch herausbringt, war ich zugegebenermaßen skeptisch. Der Film mit dessen Humor und Handlung waren gelinde ausgedrückt nicht wirklich mein Fall, aber als ich dann den Klappentext zu Wir von der anderen Seite gelesen habe, musste ich es einfach haben – denn er klingt anders, als alles, was ich vorher so gesehen habe.

Irgendwas brennt auf meiner Haut, als würde jemand Zigaretten auf mir ausdrücken, falls sich das so anfühlt. Ich blinzle und sehe eine Frau in Weiß mit langem blondem Haar. Möglichkeit 1, das ist eine Ärztin. Möglichkeit 2, ich bin endlich im Himmel und mir ist ein Engel erschienen.

Von einem auf den andren Tag ist die Welt von Drehbuchautorin Rahel Wald zweigeteilt.
Auf der einen Seite leben die sorglosen Menschen. Die, die selbst noch nie im Koma lagen oder je ernsthaft krank waren.
Auf der anderen Seite jedoch, ihrer Seite, leben die Wissenden, die Vorbelasteten mit einem metertiefen Einschnitt in ihrem Leben.
Und nun, nachdem Rahel aus dem künstlichen Koma aufgrund einer schweren Blutvergiftung erwacht ist, treffen beide Seiten aufeinander und versuchen sich zu verbinden.
Doch das ist alles andere als einfach, für alle Beteiligten.

Bereits nach den ersten Seiten habe ich gespürt, dass diese Geschichte etwas ganz besonders ist und auch etwas, dass etwas besonders mit mir persönlich macht. Nicht im Entferntesten hätte ich mich jemals damit befasst, was es bedeutet, dem Tod gerade nochmal von der Schippe zu springen und vor allem was es bedeutet damit zu Leben.
Doch Anika Decker beschreibt so anschaulich und detailliert, wie sich Hauptprotagonistin Rahel – abgemagert und schwach – im Krankenhaus, der Reha und dem Leben danach zurechtfindet. Zurechtfinden muss.
Denn zwischen Pinkelpannen und drogenähnlichen Eichhörnchen-Träumen geben sich Rahels Familie und besonders ihr Partner alle Mühe ihr dabei zu helfen, aber es kreiselt dennoch gewaltig, gerade zwischen letzteren. Zudem kann er nicht verstehen, wie Rahel sich selbst nach der Reha noch so oft mit dem schweren Krankheitsverlauf auseinandersetzten kann und ist davon immer öfter genervt, da er doch einfach nur mit ihr glücklich sein will.

Ich bin mit der humorvollen, selbstkritischen und leicht neurotischen Rahel sehr gerne ein Stück ihres Weges gegangen und habe den lockeren, leichten, aber auch flapsigen Schreibstil der Autorin geliebt.
Es ist ein schwieriges und ernstes Thema, aber man hatte nie das Gefühl, dass es einen zu weit herunterzieht und unter der Last begräbt. Die Tiefschläge, aber auch die Höhen, mit denen Rahel immer wieder zu kämpfen hat sind glaubwürdig, ja geradezu greifbar und verständlich und selbst die Situationskomik wirkte nie überzogen. Man empfindet kein Mitleid mit ihr, egal wie lebensverändernd dieser Einschnitt auch war und Rahel will das auch gar nicht.
Ebenso kommt Wir von der anderen Seite völlig ohne Kitsch und schnulzige Szenen aus und das ist etwas, was ich wirklich sehr zu schätzen weiß.

Wir von der anderen Seite ist eine Geschichte für jeden. Für jeden, der Gefühle zulassen kann und verstehen möchte, wie es sich anfühlt, plötzlich nicht mehr hinterherzukommen.
Mit viel Humor und Einfühlungsvermögen hat Anika Decker definitiv einen Volltreffer bei mir gelandet und ich hoffe, dass noch viele mehr dieses Buch lesen werden.
Eine ganz klare Leseempfehlung von mir!