Ausführliche ethische Betrachtung eines medizinischen Durchbruchs

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Maxim Leo macht es sich in seinem aktuellen Roman zur Aufgabe die Frage, wie einzelne Menschen, die Gesellschaft und die Politik auf eine zufällig entdeckten Verjüngungsmedikation reagieren könnten. Das ist ein spannendes Gedankenexperiment, welches hier aber auch literarische Schwächen aufweist.

Ein Forscher der Berliner Charité wollte eigentlich Herzinsuffizienzen heilen, indem er ein Medikament entwickelte, welches die DNA der Herzzellen verjüngen und damit eine symptomatische Verbesserung bis hin zu einem vollkommen gesunden Herzen anstoßen sollte. Ein Jahr nach dem Start der Studie an vier Patient:innen sowie zwei weiteren Testobjekten, die außerhalb der Studie stehen, stellt sich allerdings heraus, dass nicht nur das Herzleiden kuriert ist, sondern eine allgemeine Verjüngung des gesamten Organismus stattfindet. An diesem Punkt der Geschichte setzt die Erzählung ein und verfolgt die nicht nur persönlichen sondern auch gesellschaftlichen Entwicklungen, die ein solches Forschungsergebnis nach sich ziehen kann.

Die Geschichte wird durch einzelne Kapitel strukturiert, welche mithilfe der personalen Erzählperspektive immer wieder die Geschehnisse aus der Sicht einer der betroffenen Testpersonen, als auch des Forschers sowie der Leiterin des Deutschen Ethikrates und in Personalunion Beraterin der Bundesregierung in (medizin-)ethischen Fragestellungen vermittelt. Hier gelingt es Leo sehr gut die einzelnen Erzählstimmen authentisch zu erschaffen, die von einem sechzehnjährigen Jugendlichen, über eine Mitte dreißigjährige Ex-Profischwimmerin, eine Frau Ende Dreißig, die verzweifelt eine Fertilisierungsbehandlung nach der nächsten durchläuft, um endlich schwanger zu werden, bis hin zu einem achtzigjährigen Firmenchef, sowie dem Forscher als auch der Ethikerin rangieren. Das ist wirklich sehr gut gemacht.

Während der Plot seinen Lauf nimmt, der mitunter richtig Spannung erzeugt wie bei einem Wissenschaftsthriller, webt Leo alle erdenklichen Vor- und Nachteile eines solchen Verjüngungsmedikaments für die einzelne Person als auch die Gesellschaft, Wirtschaft, Politik ein. Das passiert meines Erachtens aber manchmal etwas zu gewollt, sodass das Buch über weite Strecken recht edukativ wirkt. Da wirklich jeder Aspekt beleuchtet wird, wird aber auch der Leserschaft das selbstständige Denken fast vollständig abgenommen. Zumindest kann man sich nach Abschluss der Lektüre als hervorragend informiert zum Themenbereich fühlen. Maxim Leo hat hier herausragende Recherchearbeit geleistet. Von der ethisch-wissenschaftlichen Seite finde ich das auch durchaus toll, ist es doch als hätte man gerade einen Bericht des Deutschen Ethikrats in Romanform gelesen. Somit wird die Causa niemals trocken oder langweilig vermittelt. So bleibt einem eigentlich zum Schluss nur noch sich selbst einzuordnen mit seiner informierten Meinung zu den Verjüngungsmedikamenten, denn eine abschließende Einschätzung drückt einem der Roman zum Glück nicht auf.

Für mich zeigen sich kleinere Schwachstellen eher in der literarischen Verarbeitung des Stoffs. Zum einen möchte ich als Leserin gern noch ein wenig selbst nachdenken beim Lesen. Zum anderen finde ich den Abschluss des Romans nicht sonderlich gelungen. Er erscheint etwas schnell runtererzählt. Dabei taucht die Figur der Ethikerin einfach gar nicht mehr auf und verschwindet einfach in der Bedeutungslosigkeit, was meines Erachtens ein Kardinalfehler ist, wenn diese Figur doch zu Beginn zu den Hauptcharakteren gehört hat und sogar immer wieder Einzelkapitel zugestanden bekommen hat. Es wirkt, als hätte der Autor sie einfach in seinem etwas hektischem Schluss tatsächlich vergessen. Zum anderen schließt das Buch mit einer Art Epilog, in dem noch einmal blitzlichtartig ein Blick auf die Leben der einzelnen Protagonist:innen geworfen wird. Das erschien mir zu gewollt angepfropft und machte den Roman eher unrund.

Insgesamt halte ich den sehr soliden Roman als definitiv lesenswert, besonders aufgrund der wirklich ausführlichen Betrachtungen zur Debatte. Wenn man den Roman dann eher als leichtgängigen, unterhaltsamen Beitrag sieht und weniger als ausgefeiltes, literarisches Werk, kommt man definitiv auf seine Kosten. Im besten Falle werden viele Menschen durch den Roman von Maxim Leo für die Thematik sensibilisiert und werden dadurch im – nicht ganz unwahrscheinlichen – Falle der realen Entdeckung eines solchen Medikaments zu mündigeren Bürger:innen. Deshalb habe ich mich abschließend doch für ein Aufrunden entscheiden.

3,5/5 Sterne