Forever Young

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
christian1977 Avatar

Von

Das hatte sich Professor Martin Mosländer nun wirklich anders vorgestellt. Sein an der Berliner Charité neu entwickeltes Medikament sollte doch eigentlich nur Herzinsuffizienzen beheben und für eine Erneuerung der lebensnotwendigen Zellen sorgen. Doch siehe da: Die vier Proband:innen erfreuen sich nicht nur immer besserer Gesundheit, sie verjüngen sich auch. Problematisch wird das Ganze erst, als absehbar ist, dass sich dieser Prozess nicht ohne Weiteres stoppen lässt. Und plötzlich merken auch die Patient:innen, dass so ein ewig sprudelnder Jungbrunnen vielleicht doch nicht die Rettung der Menschheit ist...

"Wir werden jung sein" ist der neue Roman von Maxim Leo, der jüngst bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Leo erzählt darin von den unbegrenzten Möglichkeiten der Medizin und was diese für die Gesellschaft bedeuten würden. Die Idee ist zweifelsohne genial und wurde meines Wissens nach so in der deutschen Gegenwartsliteratur noch nicht behandelt. Der Autor fokussiert sich dabei auf sechs verschiedene Hauptfiguren. Das sind neben dem Professor die vier Patient:innen Jakob, Wenger, Jenny und Verena sowie Miriam, wissenschaftliche Beraterin der Regierung. Gut gelingt es dem Autor, die Erzählstimmen rund um die einzelnen Figuren auch völlig unterschiedlich klingen zu lassen. So sind beispielsweise die Texte rund um den 16-jährigen Jakob jugendlich-flapsig, während beim 80-jährigen Immobilienmagnaten Karl Wenger stets eine gewisse Autorität mitschwingt. Positiv hervorheben muss man zudem, wie Maxim Leo es schafft, ein vordergründig wissenschaftliches Thema unterhaltsam, spannend und mit einem Augenzwinkern so zu vermitteln, dass der Roman durchaus eine breite Leserschaft ansprechen dürfte.

Womit wir beim Aber wären. Denn so genial diese Idee auch ist, so wirkt die literarische Umsetzung manchmal ein wenig unterkomplex. Dies ist vor allem bei der Figurenzeichnung zu spüren. Wir folgen den Charakteren in wortreichen Dialogen, Konflikte und Probleme werden fast ausschließlich darüber gelöst. Über das Innenleben der Figuren erfährt man viel zu wenig. Ein paar innere Monologe der Figuren, gerade in Bezug auf Ethik und Moral, hätten hier in meinen Augen eine größere Wirkung erzielt. Am stärksten sticht noch Verena heraus, ihrerseits Leistungsschwimmerin und Olympiasiegerin. Als die Folge der Tablettenneinahme ein neuer Schwimm-Weltrekord im fortgeschrittenen Alter ist, sieht sie sich plötzlich mit Dopingvorwürfen konfrontiert. Bei ihr spürt die Leserschaft noch am stärksten, was solche Vorwürfe bewirken können. Zudem gewinnen die Patient:innen allesamt im letzten Drittel unvermittelt an Kontur, als sie - leider jedoch aus recht absurden Gründen - dazu gezwungen sind, plötzlich zusammenarbeiten zu müssen.

Misslungen sind hingegen der Professor und insbesondere Miriam, die wissenschaftliche Beraterin. Martin nimmt selbst die von ihm kreierten Kapseln und verabreicht sie auch seinem geliebten Hund, was jedoch anders als bei den Patient:innen keine große Rolle spielt. Der eigentliche Protagonist, bei dem die wissenschaftlichen und erzählerischen Fäden zusammenlaufen sollten, ist eher eine Mischung aus albernem Hanswurst und nettem Onkel und lässt bis kurz vor dem Ende jegliche Haltung vermissen.

Miriam ist gar ein echtes Ärgernis. Die Figur wird offenbar nur eingeführt, um den Leser:innen mit dem Holzhammer die gesellschaftlichen Auswirkungen der Verjüngungskapseln einzutrichtern. In einer ermüdenden Szene diskutiert sie darüber mit den Politiker:innen und man hätte Maxim Leo hier mehr Vertrauen in die mitdenkende Leserschaft gewünscht. Letztlich verliert selbst der Autor sein Interesse an Miriam, im Finale findet sie schlichtweg nicht mehr statt.

Wobei das Finale insgesamt eher recht wirkungslos verpufft. Zwar werden bis auf Miriam noch einmal die Erzählstränge der einzelnen Charaktere recht warmherzig aufgenommen, doch die große Überraschung oder gar ein Aha-Effekt bleiben aus. So bleibt die Kooperation der vier Patient:innen zugleich erzählerischer wie auch Spannungshöhepunkt.

"Wir werden jung sein" ist insgesamt ein moderner und flott erzählter Unterhaltungsroman, dem eine große Aufmerksamkeit und Leserschaft gewiss sein sollte. Allerdings kratzt das Buch vor allem in den ethisch-moralischen Fragen und bei der Figurenzeichnung nur an der Oberfläche.