Ausgewildert

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elke17 Avatar

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Als das uralte Gleichgewicht des Ökosystems noch intakt war, gab es überall Wölfe in den Wäldern, aber diese Zeiten sind schon lange vorbei. Mittlerweile ist alles aus den Fugen geraten, Wälder wurden abgeholzt, die Artenvielfalt ist verschwunden, aber gleichzeitig ist die Hirschpopulation über die Maßen angestiegen. Aufforstung allein genügt nicht, um diesen Prozess zu stoppen und die Renaturierung wieder in Gang zu setzen.

Die australische Biologin Inti Flynn, Protagonistin in McConaghys zweitem Roman „Wo die Wölfe sind“, hat eine Mission. Sie möchte Mensch und Natur miteinander in Einklang bringen, dafür sorgen, dass die alte Ordnung wiederhergestellt wird. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie bereits im Yellowstone Nationalpark mit einem Wiederansiedlungsprojekt dafür gesorgt, dass dort wieder Wölfe leben und so auf lange Sicht dafür sorgen, dass sich die Natur erholt. Nun möchte sie ein ähnliches Projekt in den schottischen Highlands realisieren, aber natürlich wird sie mit dem Widerstand der einheimischen Schafzüchter konfrontiert, die um ihre Herden fürchten. Für sie sind Wölfe noch immer die blutrünstigen Raubtiere, gefährlich für Mensch und Tier. Doch Inti lässt sich nicht beirren und zieht ihre Pläne durch. Aber anscheinend sind die Bauern im Recht, fühlen sich in ihren Vorbehalten bestätigt, als die ersten toten Tiere auf den Weiden auftauchen. Das spurlose Verschwinden eines Nachbarn ist schließlich der berüchtigte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen und die Volksseele zum Kochen bringt.

Soweit der erzählerische Rahmen, in dem sich die Handlung dieses Romans bewegt. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen und hätte bei mir einen stärkeren Eindruck hinterlassen, wenn die Autorin ihren Fokus stärker auf die ökologischen Voraussetzungen gerichtet hätte, in dem diese angesiedelt ist. Sie taucht weder in die Landschaft noch in die Lebenswelt der schottischen Schafzüchter ein, begnügt sich hier leider mit oberflächlichen Klischees und füllt die Leerstellen mit überflüssigen Nebenhandlungen, die nur unwesentlich zum Fortgang der Handlung beitragen. Beispiele gefällig? Intis Mirror-Touch-Synästhesie, die tragische Geschichte ihrer stummen Schwester, der gewalttätige Nachbar, der regelmäßig seine Frau verprügelt, und dann auch noch die völlig überflüssige Lovestory. Alles in allem etwas zu viel des Guten.

Dennoch bin ich trotz dieser kritischen Anmerkungen der Meinung, dass der Roman gelungen ist, und das hat zwei Gründe. Zum einen wird die Autorin damit auch diejenigen erreichen, die sich üblicherweise nicht mit ökologischen Fragen auseinandersetzen, zum anderen sensibilisiert sie ihre Leser*innen für die Frage, wie man mit den Wölfen umgehen sollte, die seit einiger Zeit mittlerweile auch bei uns immer wieder in den Wälder auftauchen. Auf der einen Seite diejenigen, die lautstark auf deren Gefährlichkeit hinweisen und für deren Abschuss eintreten, auf der anderen Seite diejenigen, die die Bedeutung der Wölfe für ein intaktes Ökosystem erkennen und für ihren Schutz eintreten. Eine Frage, die noch immer nicht abschließend geklärt ist.