Der Mensch ist des Menschen Wolf

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angie99 Avatar

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Vom Cover und Klappentext her hatte mich dieses Werk nicht sonderlich angesprochen, doch die Leseprobe -

"Wir waren acht Jahre alt, da schnitt mein Vater mich auf, von der Kehle bis zum Bauch." (Erster Satz)

- direkt umgehauen, so dass ich mich in Erwartung eines Highlights an die Lektüre machte.

Und ja: der Einstieg ist wirklich grandios, von der ersten Seite an ist man mittendrin in der Erfahrungswelt von Wolfsforscherin Inti, die vom seltenen Mirror-Touch-Syndrom betroffen ist und deshalb Dinge, die sie sieht, körperlich spüren kann. Einerseits versprach gerade dieser Aspekt zusätzlichen Thrill neben dem in Schottland begonnen Projekt zur Wolfsauswilderung – allerdings war es mir relativ bald zu viel des Thrills, zu viel des Außergewöhnlichen und zu viel des damit einhergehenden Dramas.

"Inti Flynn", sagt Duncan noch einmal. "Was ist das überhaupt für ein Name?" "Ach, wer weiß das schon." "Will sagen?" "Mein Vater ist Kanadier mit irischem Namen, meine Mutter ist Australierin mit englischem Namen, meine Großeltern stammen aus Schottland, Irland und Frankreich und kein Mensch hat irgendeine Ahnung, wo mein Vorname herkommt." (S. 133)

Fehlt eigentlich nur noch, dass sich ihre Großmutter als die Queen herausstellt.
Aber nicht nur ihre Herkunft ist in jeglicher Hinsicht dick aufgetragen, auch Intis Charakter und Verhalten empfand ich als Zumutung : wieso nachvollziehbar wenn es auch kompliziert geht? Ach ja: wird halt spannender...

Als mir klar wurde, dass die verschiedenen Traumata, welche diese Familie belasten, sowie die Traumata von Intis neuen Freunden und Feinden und deren Familien in Schottland, sowie die vielen Geheimnisse, die in diesem Zusammenhang gekrämert werden, sowie die daraus entstehenden Komplikationen um die geheimen Traumata und traumatischen Geheimnisse (ihr versteht schon…) einen größeren Raum einnehmen als das Wolfsprojekt, habe ich dieses Buch nur noch quergelesen.

So trauere ich hier um einen Roman, der zwar vielversprechend beginnt und mit einem brillanten Schreibstil punktet, dessen Wendungen auf Vorabendserie-Niveau mir jedoch einfach nur „too much“ waren.