Düsterer Inhalt hinter Pastellcover

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schneeglöckchen_gk Avatar

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Inti Flynn ist Wolfsexpertin und kommt nach Schottland, um dort die Wiederansiedlung von drei Wolfsrudeln zu betreuen. Die Einheimischen stehen dem Projekt skeptisch gegenüber und Inti und ihr Team werden mit heftigen Anfeindungen konfrontiert. So weit, so gut. Doch allein mit dieser Geschichte wären kein 426 Seiten gefüllt.
Der Roman besteht aus zwei Erzählsträngen, einmal die Kindheit und Jugend von Inti und ihrer Zwillingsschwester Aggie bis hin zu einem prägenden Zeitraum vor dem Umzug nach Schottland, und einmal die Gegenwart, die sich von Beginn des Wolfsprojekts an fortsetzt. Anfangs enthält die Geschichte noch viele interessante Details zum Verhalten der Wölfe, ihrem Effekt auf die Renaturierung von Landschaften und der Natur als Ökosystem generell. Dieser Anteil verliert sich aber zunehmend und die Geschichte wird immer düsterer. Drastische Fälle von häuslicher Gewalt und viele blutige Szenen werden explizit beschrieben. Dies lässt sich aus dem Klappentext nicht offensichtlich herauslesen, es gibt keine Triggerwarnungen dafür. Nachdem ein Farmer aus dem Ort ermordet wurde, beginnt die Suche nach dem Mörder. Spätestens hier wird das Buch zunehmend zu einem Krimi, hinter dem pastellfarbenen Cover verbirgt sich definitiv keine Schönwetter-Story. Tier und Mensch werden gleichermaßen als grausame Wesen enttarnt, die Dämonen (oder Traumata) aus der Vergangenheit prägen die Gegenwart.
Das ganze Buch ist durchzogen von übersinnlichen und mystischen Elementen. Oft werden nur Andeutungen formuliert, vieles bleibt (zunächst) offen. Inti Flynn hat das Mirror-Touch-Syndrom und kann dadurch Berührungen und Verletzungen von Menschen und Tieren, die sie sieht, direkt nachempfinden, spürt den Schmerz am eigenen Körper.

Trotz teilweise merkwürdigen Formulierungen (die auch der Übersetzung geschuldet sein könnten) und des heftigen Inhalts, lässt sich das Buch sehr leicht lesen. Obwohl mich die über 400 Seiten anfangs eher abgeschreckt haben, konnte ich das Buch sehr schnell und flüssig lesen. Positiv anmerken möchte ich auch, dass ich über keine offensichtlichen Rechtschreibfehler im Text gestolpert bin (obwohl es ein unkorrigiertes Leseexemplar ist), was ich inzwischen bei aktuellen Büchern sehr zu schätzen weiß.
Der Roman hat mich an „Vom Ende eines Sommers“ von Melissa Harrison erinnert. Wem ihr Buch gefallen hat, der könnte auch „Wo die Wölfe sind“ mögen. Für mich war es der erste Text von Charlotte McConaghy, deswegen kann ich keinen Vergleich zu „Zugvögel“ ziehen.

Anhand des Pastellcovers und des Klappentextes hatte ich eine eher harmonische, harmlosere Geschichte über die Wölfe und die schottische Landschaft erwartet. Tatsächlich ist das Buch allerdings sehr düster und beschäftigt sich, vor allem zum Ende hin, mehr mit menschlichen Abgründen als mit den anmutigen Tieren. Obwohl auch Liebe, Zusammenhalt und Stärke thematisiert werden, finde ich es unverständlich, wie gewalttätige Szenen ohne Triggerwarnung geschildert werden. Ich bin kein Freund von mystischen Elementen, übernatürlichen Fähigkeiten und halbgaren Andeutungen. Die Richtung, in welche sich das Buch zunehmen entwickelt hat, hat mir nicht zugesagt. Trotzdem hatte ich eine gute Leseerfahrung und kann mir vorstellen, dass das Buch anderen Lesern große Freude bereiten kann.