"Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen." (Aurelius Augustinus)

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2019. Die entfremdeten Familienmitglieder Eva, Jan und Iris sind die Erben der 1898 im thüringischen Sonneberg von Albert Langbein gegründeten Spielzeugfabrik, die in den vergangenen knapp 120 Jahren die Weimarer Republik sowie zwei Weltkriege und den Mauerbau in Deutschland überstanden und vielen Ortsbewohnern Arbeit gegeben hat, nur um jetzt nach der Wiedervereinigung Konkurs anzumelden und die Pforten schließen zu müssen. Der aus Cousin und Cousinen bestehenden Erbengemeinschaft bleibt nur, die alten Räumlichkeiten des Stammhauses zu räumen und entrümpeln. Dabei kommen ihnen immer wieder alte Bilder und Erinnerungen hoch, die sie mit der alten Spielzeugfabrik verbinden. Eine Internetauktion lässt in Eva, Iris und Jan die Idee heranreifen, die Fabrik doch noch einmal zum Leben zu erwecken. Werden sie als Familie wieder zusammenwachsen und hat die Spielzeugfabrik noch eine Zukunft?
Kati Naumann hat mit „Wo wir Kinder waren“ einen unterhaltsamen und anrührenden historischen Roman vorgelegt, in dessen Seiten sich das Schicksal der Familie Langbein und ihres Traditionsunternehmens von der Vergangenheit bis hin zur Gegenwart verbirgt. Gekonnt stellt die Autorin dem Leser mit bildhaftem, flüssigem und gefühlvollem Erzählstil zuerst die drei seit längerer Zeit im Clinch liegenden Urenkel des Firmengründers in der Gegenwart vor, die sich bei Internetauktion für eine alte Puppe des Langbeinimperiums gegenseitig in die Quere kommen. Bei der anstehenden Räumaktion des Familienstammsitzes müssen Iris, Jan und Eva allerdings an einem Strang ziehen, um alles zu bewältigen. Während sie bei der Entrümpelung ihren alten Erinnerungen nachhängen, verwandelt sich die Spielzeugfabrik von einem Schwarz-Weiß-Bild in ein Farbfotografie, wird lebendig und greifbar, fast vergleichbar mit einem Daumenkino. Über unterschiedliche Perspektiven taucht der Leser immer mehr in das über vier Generationen bestehende Familienunternehmen ein, dass nicht nur einige gesellschaftliche und politische Höhen und Tiefen hat meistern müssen. Auch die Beschäftigung vieler ortsansässiger Arbeiter, die sich in Heimarbeit mit der Herstellung von Puppen, Spielzeugautos und allerlei Kinderträumen ihren Lebensunterhalt verdienten, wird durch die Rückblenden bis ins Jahr 1910 von der Autorin sehr plastisch geschildert. Der Leser verfolgt die Handlung mit leuchtenden Augen und einem herrlichen Kopfkino, das dem wunderbar in ihrer Geschichte eingewebten geschichtlichen Hintergrund ebenso geschuldet ist wie den spannend erzählten alten Erinnerungen der drei Urenkel und deren zwischenmenschlicher Beziehung.
Lebendig und facettenreich gestaltete Charaktere mit menschlichen Ecken und Kanten nehmen den Leser von Beginn an mit in die Handlung hinein, wo er gemeinsam mit ihnen im alten Stammhaus wandeln darf, während er ihre alten Geschichten hautnah miterleben darf. Eva, Jan und Iris schleichen sich erst nach und nach ins Leserherz, denn ihre Zwistigkeiten müssen vorher ausgeräumt werden, um der Sympathie Platz zu machen. Die älteren Generationen allerdings, bestehend aus Albert, Mina, Otto, Flora und vielen anderen erobern den Leser im Sturm und lassen vor allem die Verbundenheit innerhalb der Familie ganz deutlich hervortreten.
Mit „Wo wir Kinder waren“ gewährt Kati Naumann dem Leser nicht nur Eintritt in Teile ihrer eigenen Familiengeschichte, sondern lenkt ihn wunderbar durch deutsche Historie und lässt neben einer interessanten und spannenden Handlung auch den Kindertraum wahr werden, einmal in einer Spielzeugfabrik zu sein. Herrlich authentisch und berührend erzählt, so dass das Buch kaum aus der Hand zu legen ist. Absolute Leseempfehlung für diesen Genuss! Chapeau – besser geht es nicht!