Eine bewegende Familiengeschichte

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madame klappentext Avatar

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Inhalt: Das thüringische Sonneberg ist seit mehreren Jahrhunderten die Spielzeugstadt schlechthin. In jeder Familie werden Spielzeuge oder Spielzeugteile hergestellt und/oder verkauft. So auch in der Familie Langbein, die eine Puppenfabrik besitzt. Albert Langbein hat mit viel Herzblut die Fabrik aufgebaut, die im Laufe der Jahrzehnte so einige private wie politische Unruhen überstehen musste. Dabei war es immer der familiäre Zusammenhalt, der die Puppenfabrik am Leben gehalten hat. Die Urenkel Alberts Eva, Iris und Jan blicken auf eine bewegte Familiengeschichte zurück, um damit den Blick nun auch in die Zukunft richten zu können.

Leseeindruck: Die Idee historische Wirklichkeit mit einer guten fiktiven Geschichte zu verknüpfen hat mir sofort gefallen. Dabei mag die Familie Langbein aus der Feder von Kati Naumann entsprungen sein und doch steht sie symbolisch für so viele Sonneberger Familien, die zunächst von der Heimarbeit gelebt haben und es in einigen Fällen zu gutbürgerlichen Mittelständlern geschafft haben. Es galt sich in mehreren politischen Systemen zu behaupten, um überleben zu können. Vom Kaiserreich über die Nazidiktatur bis hin zur DDR ist alles dabei. Diese Abwechslung hat mir wirklich gut gefallen. Die Entwicklung der Fabrik hält dabei keine allzu großen Überraschungen parat, wenn man etwas mit der deutschen Geschichte vertraut ist. Trotzdem tut das der Spannung keinen Abbruch, da mit der Puppenfabrik eben auch eine abwechslungsreiche Familiengeschichte verknüpft ist. Die Langbeins bilden die bürgerliche Mittelschicht ab und sind wirklich (fast) alle tolle Sympathieträger. Dieses Verbundenheitsgefühl mit der Familie Langbein macht für mich den Reiz der Gechichte aus, schließlich werden so die Auswirkungen der großen deutschen und europäischen Politik am kleinen Beispiel einer Familie deutlich und auch greifbar. Vor jedem politischen Umbruch habe ich mitgefiebert, was das wohl mit der Familie, aber eben auch mit der Fabrik machen wird. Ein weiterer beständiger Leseantrieb ist die Erzählstruktur. Kapitel, die in der Vergangenheit spielen wechseln sich mit Kapitel aus der Gegenwart ab, in der Iris, Eva und Jan versuchen ihre Familiengeschichte aufzuarbeiten. Die Leser*innen ehrfahren so Stück für Stück von verschiedenen Familiengeheimnissen und können die eine oder andere Schlussfolgerung ziehen. Dabei hat mir besonders gut gefallen, dass nicht alles in der Familie Langbein nach Plan läuft. Es gibt Unglücke, Streit aber auch eine Menge Zusammenhalt. Dieses authentische und wenig verkitschte Familienbild hat mir wirklich sehr gefallen, denn damit ist der ganze Roman gleich sehr authentisch.

Neben den familiären Beziehungen spielt natürlich auch das Handwerk der Spielzeugmacher eine große Rolle. Techniken, Material und Herstellungsweisen werden am Rande immer wieder mit eingeflochten und man bekommt einen umfassenden Einblick in diese traditonelle Handwerkskunst. Ich bin selbst ein echter Plüchtiernarr und habe die einzelnen Produktionsschritte mit viel Interesse verfolgt, wobei es auch nie zu viel Information ist, um den Erzählfluss zu stören. Eine tolle Mischung, wie ich finde.

In der Gegenwartshandlung nimmt das Ausmisten und Loslassen viel Raum ein, dabei habe ich immer wieder bemekt, wie ich mir selbst meine Gedanken über die verschiedenen Erbstücke gemacht habe. Würde ich es behalten und wenn ja, warum und überhaupt wohin damit? Während des Lesens habe ich immer mal wieder meine Gedanken schweifen lassen, um zu überlegen, wie ich mit Familienstücken umgehen würde. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich irgendwann wieder an Iris, Jan und Eva erinnern werde, um mir ihren Rat einzuholen. Die drei haben echt Eindruck bei mir hinterlassen, wobei ich in der Ausmistthematik eindeutig Team Eva bin, ob das nun gut oder schlecht ist, weiß ich selbst nicht, aber macht euch selbst ein Bild.

Lieblingsnebencharakter: Die Charaktere der Geschichte sind alle sehr verschieden und es fällt schwer sie zu vergleichen, da jeder auch so unterschieldiche Erfahrungen gemacht hat. Daher fällt es mir unfassbar schwer einen Liebling zu küren. Es fällt viel leichter das Gegenteil auszuwählen, den unsympatischsten Charakter: Das ist ohne viel nachzudenken Victor Pulvermüller. Mehr will ich dazu auch nicht sagen, denn er (und seine Familie) sind kein weiteres Wort wert.

Nachdem ich das Buch nun schon vor einigen Tagen beendet habe, spukt mir eine Figur immer wieder im Kopf rum und daher möchte ich ein paar Sätze zu ihr verlieren, auch wenn sie alles andere als ein Nebencharakter ist: Flora. Schon in der ersten Szene, in der sie auftaucht, ist der Funke übergesprungen. Dieses herzensgute Mädchen musste ich einfach gernhaben und habe bis zum Schluss nicht aufgehört damit. Warum? Weil sie in meinen Augen die Geschichte trägt. Ihr Herz und Verstand prägen die Famlie, genau wie es Mine (Alberts Frau) getan hat. Ohne die Frauen Langbein hätte es mit Sicherheit keine über Generationen erfolgreiche Puppenfabrik gegeben, auch wenn immer die Herren der Schöpfung deren Direktor waren und die Frauen in der vermeinlich zweiten Reihe ihren Dienst getan haben. Flora wird mir mit ihrer Einstellung zum Leben sicher ein Vorbild bleiben.

Fazit: Dieses Buch hat mich einfach in vielerlei Hinsicht begeistert. Das Handwerk der Spielzeugmacher, die bewegte Familiengeschichte, aber auch die Themen Zusammenhalt und Neuanfang sorgen für eine Themenvielfalt innerhalb des Romans. Der Stil ist flüssig und sorgt mit dem Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit dafür, dass man förmlich durch die Kapitel fliegt. Sobalb man die ersten Worte liest, ist man drin in der Geschichte und begibt sich auf eine Zeitreise. Man merkt dem Roman an, dass Kati Naumann selbst aus einer Sonneberger Familie mit Spiezeugtradition kommt, denn der Roman ist nicht nur gut recherchiert, sondern hat mit Familie Langbein, die stellvertretend für so viele andere Familien steht, eine Seele bekommen. Egal, ob ihr Puppen mögt, von mir gibt es für einen tollen historischen Roman eine klare Leseempfehlung