Aufwühlende Lektüre

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„Wohin du auch gehst“ ist das eindrucksvolle Debüt der britisch-kongolesischen Autorin Christina Fonthes, erschienen am 23. Juli 2025 im Diogenes Verlag. Auf gut 400 Seiten entfaltet sich die bewegende Geschichte zweier kongolesischer Frauen, deren Lebenswege sich über Kontinente und Jahrzehnte hinweg verweben. In parallelen Erzählsträngen, abwechselnd in der Ich-Perspektive von Mira und Bijoux, führt uns der Roman vom Kinshasa der 1980er-Jahre bis ins heutige London. Die Konstruktion dieser doppelten Zeitebene sorgt für Spannung und Tiefe – und erlaubt es der Autorin, nicht nur die persönlichen Konflikte der Figuren, sondern auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu beleuchten.

Mira wächst im Kongo auf, geprägt von Tradition, Religion und den ungeschriebenen Regeln ihrer Kultur. Ihre Suche nach Freiheit und Liebe führt sie früh an Grenzen – sowohl geografische als auch emotionale. Jahrzehnte später wird ihre Nichte Bijoux nach London geschickt. Auch sie muss lernen, mit einer Welt umzugehen, in der ihre kongolesische Herkunft einerseits eine Quelle von Stolz ist, sie aber zugleich in ein Spannungsfeld von Erwartungen, Fremdheit und Anpassungsdruck bringt. Besonders eindringlich ist, wie Fonthes die gleichgeschlechtliche Liebe beider Frauen thematisiert: nicht plakativ, sondern leise und konsequent, mit der ganzen Schwere, die Ablehnung, gesellschaftliche Tabus und das Schweigen in Familien mit sich bringen.

Bijoux und Mira sind fein gezeichnete Charaktere – ihre Stimmen unterscheiden sich klar, ihre Gedanken und Gefühle sind nachvollziehbar, und man hat das Gefühl, sie persönlich zu kennen. Das Buch fängt kleine Alltagsmomente mit großer Wirkung ein: das Kochen von Fufu, das Sprechen in Lingala, der Rhythmus einer Straße in Kinshasa, das Geräusch einer belebten Londoner U-Bahn-Station. Diese kulturellen Details verleihen der Geschichte eine tiefe Authentizität und machen die Lebenswelten der beiden Frauen unmittelbar erfahrbar.

Thematisch deckt der Roman ein breites Feld ab: Migration und das Leben in der Diaspora, intergenerationelle Konflikte, Diskriminierung, Religion, Identitätssuche und gleichgeschlechtliche Liebe. Dabei gelingt Fonthes eine intersektionale Perspektive, die verschiedene Formen von Ausgrenzung und Zugehörigkeit miteinander verknüpft. Trotz dieser Schwere liest sich das Buch erstaunlich flüssig – die klare, oft poetische Sprache treibt die Handlung voran, und die wechselnden Perspektiven erzeugen einen Sog, der einen das Buch kaum aus der Hand legen lässt.

„Wohin du auch gehst“ ist ein vielschichtiger, emotionaler und zugleich leiser Roman, der lange nachklingt. Christina Fonthes verbindet die Intimität persönlicher Geschichten mit gesellschaftlicher Relevanz, ohne in Klischees zu verfallen. Wer sich für fein erzählte Figurenstudien interessiert und zugleich bereit ist, sich mit Themen wie Liebe unter Restriktionen, Heimatverlust und kultureller Identität auseinanderzusetzen, findet hier eine außergewöhnlich berührende Lektüre. Für mich ein starker Roman, der Herzen wie Verstand gleichermaßen anspricht.