Eine informative Weltreise zu fantastischen Orten

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Franz Kafka und Stephen King in einem und demselben Lexikon zu fantastischen Welten? Geht das? Ja, klar. Das funktioniert gut, wie uns das eben bei der WBG und Theiß erschienene Kompendium „Wonderlands“ beweist. Fantastische Welten entstehen in den Köpfen der Autoren, seitdem Geschichten erzählt werden, und so schlägt der von der New Yorker Journalistin und Kritikerin Laura Miller herausgegebene Band den großen Bogen von den frühen Epen der Menschheit bis hin zur High-End-Fantasy unseres Jahrhunderts. Franz Kafka (Das Schloss) und Stephen King (Der dunkle Turm) schicken ihre Leser ebenso in fremde Welten wie der unbekannte Erzähler des Beowulfs und G. R. R. Martin. Solche „Wunderländer“ sind nicht auf die fantastische Literatur begrenzt, denn es gibt Welten der Zukunft und alternative Welten, die ebenso Eingang in das knapp 100 Artikel in 5 Kapitel umfassende Werk gefunden haben.
Über 30 internationale Autoren sind für die chronologisch angeordneten Abschnitte verantwortlich und die Qualität des gesamten Buches liegt darin, dass es trotzdem wie aus einem Guss wirkt, ohne dass die Darstellung der verschiedenen Werke und Welten zu eintönig daherkommt. Insofern bietet „Wonderlands“ etwas Untypisches für diese Art von Sammelbänden: Es lässt sich durchaus an einem Stück lesen. Mitunter sind die Artikel untereinander verknüpft und man ist verblüfft über die unzähligen intertextuellen Traditionen des fantastischen Schreibens. Natürlich lädt das Buch auch zum ungezwungenen Schmökern ein, nicht zuletzt wegen der reichen Auswahl an Illustrationen – teilweise aus den Originalausgaben, manchmal auch zur Rezeption im Film und in der Fangemeinde. Bei Harry Potter hält das Foto einer Schlange zur Premiere des letzten Bandes die Begeisterung der Leser*innen für die Ewigkeit fest. Leider sind die Angaben zur Herkunft der Illustrationen in wenigen Fällen (z. B. bei der „Schatzinsel“) nicht eindeutig.
Ein solcher Kanon, wie er hier vorliegt, produziert mit seiner Auswahl naturgemäß Lücken, in denen manch einer schmerzlich etwas vermisst. So ist es auch bei „Wonderlands“. So gehört etwas Kafka neben Cornelia Funke zu den wenigen deutschsprachigen Autoren. Auch die Tatsache, dass bei der Darstellung von Wagners „Ring des Nibelungen“ die isländische „Völsunga-Saga“ und nicht das Nibelungenlied als wichtigste Inspirationsquelle genannt wird, zeigt, wie wenig die mitteleuropäische Perspektive eingenommen wird. Aber das ist das gute Recht eines Buches, das die Literatur des ganzen Erdballs (auch Afrika und Asiens) im Blick hat. Wer diese Lücken akzeptiert, wird auf jeden Fall nebenbei mit vielen neuen Leseanregungen belohnt. Unterstützt werden diese auch durch die Übersetzung von Hanne Henninger, Susanne Kolbert und Madeleine Kaiser, die bei allen Artikeln die deutschsprachige Veröffentlichungsgeschichte mit anreißen.