Die Grenzen der Arbeit

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Julia arbeitet als Krankenschwester in der Stadt, als ihr ein beinahe fataler Fehler unterläuft, der ihr den Atem nimmt und sie dazu den Job kosten wird. Um sich zu erholen, zieht sie zurück zu ihrem Vater ins Gebirgsdorf, doch auch wenn die Luft dort gut für die Lunge sein mag, ist von Idyll nichts zu spüren. Die Mutter, die eigentlich schon als junges Mädchen der Enge entfliehen wollte, hat sich nach Italien abgesetzt, um dort ein neues Leben zu beginnen. So findet sich Julia ungewollt in der Rolle derjenigen wieder, die sich zu kümmern hat: um den Vater, den pflegebedürftigen Bruder und dazu noch um eine Ziege, die ein Dorfbewohner beim Kartenspiel gewonnen hat und der es ganz offensichtlich nicht gut geht. Einziger Lichtblick ist der Städter, der sich hier nach einem leichten Herzinfarkt erholen soll und zudem ein Jahr bedingungsloses Grundeinkommen gewonnen hat, sodass die Erholung leicht fallen sollte. Das übergeordnete Theme dieses Romans ist die Arbeit und ihre Bedeutung für die jeweiligen Menschen. Arbeit wird gleichzeitig als zerstörerisch und sinnstiftend beschrieben, denn was bleibt vom Menschen, wenn die Arbeit wegfällt? Die Männer des Dorfes, die in der inzwischen geschlossenen Fabrik gearbeitet haben, sitzen jedenfalls schon um 11 Uhr im Dorfkrug beim ersten Bier. Vorbilder gibt es hier für Julia keine, einzig ihre alte Schulfreundin Bea ist in der Lage, ihr ein mögliches Leben aufzuzeigen.
Birgit Birnbacher hat Soziologie studiert und einen entsprechenden Blick auf ihre Figuren. Sie zeigt, wie einengend patriarchale Strukturen sind und wie wenig Raum für eigene Wünsche bleibt, wenn die Arbeit als entfremdet angesehen wird. Dabei geht es nicht nur um eintönige Fabrikarbeit, sondern auch um Pflegeberufe, die sich immer weiter vom Menschen entfernen und dadurch Fehler geradezu herausfordern. Doch auch der Städter, der finanziell gut gestellt ist und einen manchmal nicht nachvollziehbaren Optimismus ausstrahlt, ist mit seinem Bürojob unzufrieden, er möchte sich nicht mehr mit Kommastellen befassen, sondern am wahren Leben teilhaben. Doch wo soll das sein, das wahre Leben? Und wo darf sich Julia verorten, ohne sich selbst aufgeben zu müssen? Ein wirklich empfehlenswertes Buch für alle, die soziologische Betrachtungen in Romanform mögen und sich gern mit den Auswirkungen der verschiedenen Arbeitsformen in einer patriarchalen Gesellschaft auseinandersetzen. Ich jedenfalls mochte das Buch sehr!