Einatmen, ausatmen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
amara5 Avatar

Von

Die Bachmannpreisträgerin und studierte Soziologin Birgit Birnbacher zeichnet in ihrem neuen Roman „Wovon wir leben“ ein feinfühliges und detailliertes Bild einer jungen Frau in der Sinnkrise – und lässt dabei präzise und realistisch noch existenzielle Fragen des (nicht) arbeitenden Menschen miteinfließen.

Julia heißt die empathische Ich-Erzählerin des Romans und sie leidet an schwerem Asthma – nach einem traumatischen Erlebnis an ihrem alten Arbeitsplatz als Krankenschwester, das ihr auch ihre Stelle kosten wird, verschlechtert sich ihr Atemvolumen und sie muss nicht nur neu lernen, tief ein- und auszuatmen, sondern auch ohne Arbeit zu leben. Physisch und psychisch angeschlagen kehrt sie zurück zu ihren Eltern ins erdrückende Dorfleben von Innergebirg – doch ihre Mutter hat Reißaus genommen und lebt jetzt bei den Zitronen in Italien, ihr Vater, ein herrischer, hypochondrischer Grantler, zwingt sie mit emotionaler Erpressung dazu, für ihn da zu sein, während Julias geistig behinderter Bruder in einem Heim gepflegt wird.

Julia wird auf den Städter Oskar treffen, der sich nach einem Herzinfarkt erholt und dem ein bedingungsloses Grundeinkommen derzeit das Leben ohne Arbeit erleichtert. Gemeinsam erholen sie sich einen Sommer lang, kommen sich näher, beobachten das bornierte Dorfleben im Wirtshaus, in dem die arbeitslos gewordenen Männer trinken und spielen, und reflektieren ihr bisheriges (Arbeits-)Leben.

Mit einer klaren, sehr starken und ausdrucksstarken Sprache widmet sich Birgit Birnbacher dem Sinn von Arbeit und der unterschätzten Anerkennung von weiblicher Care-Arbeit bis zur Erschöpfung – aber auch weitergegebenen Rollenbildern, Verpflichtungen und Erwartungen, die zu erdrücken drohen. Dabei webt sie in ihrer Geschichte subtil soziologische Studien zur Arbeit ein, auf die sie sich am Ende des Buches bezieht. Auch bildgewaltige Metaphern aus der Tierwelt spielen eine übertragene Rolle – wie ein arbeitswütiger, exotischer Vogel, eine schreiende Ziege sowie ein verendetes Arbeitspferd.

Äußerst sensibel und klug schaut Birnbacher auf das Zerbrechliche im Menschenleben und obwohl der Roman sehr schmal ist, steckt zwischen den Zeilen noch so viel mehr Weisheit zum Entdecken. Ein wunderbarer und literarisch geglückter Dorf- und Gesellschaftsroman über den Sinn und Wandel von Arbeit, Fürsorge sowie einem gelungenen, freien Leben.