Unbedingt Lesenswert!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
anana Avatar

Von

„Ich hielt mich grundsätzlich für krisenresistent, vor allem, wenn es um die Krisen der anderen ging. Ich war die Menschen gewohnt. Durch ihr ständiges Menschsein schützte ich mich vor meinem. Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis ich irgendwann als das vor einem Patientenbett stand, was ich wirklich war: ein Mensch unter Menschen.“

In „Wovon wir leben“ begleitet der Leser die Krankenschwester Julia, welche nach einem Behandlungsfehler ihren Job verliert, erkrankt und zurück in ihr Heimatdorf flüchtet. Dort muss sie feststellen, dass ihr Vater in einem verwahrlosten Zustand ist und die Mutter ihn sowie den kranken Bruder verlassen hat, um in Italien einen Neuanfang zu wagen.

Sehr feinfühlig und eindringlich erzählt Birgit Birnbacher in einer klaren wie poetischen Sprache sowohl von der Entfremdung von als auch von dem Segen der Erwerbsarbeit. Und beleuchtet ebenso die Care-Arbeit, die von den Frauen wie selbstverständlich auch zu erbringen ist.

Mit viel Anteilnahme habe ich die Protagonistin bei ihrem Versuch verfolgt, in der Enge des Heimatdorfs wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. An einer Stelle sagt Julia, dass sie nicht arbeite und was sie dabei fühle, sei viel, aber Freiheit und Glück nicht. Doch welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Der Roman gibt keine einfachen Antworten, sondern stellt sich der Komplexität und den vielzähligen Widersprüchen des Familien- und Arbeitslebens.

Dabei wird man auf vielen weiteren Ebenen zum Nachdenken angeregt – so über die Bedeutung der Klasse, die Folgen von Krankheit, die Funktion der Familie und den Strukturwandel.

Ein schmaler, aber sehr gehaltvoller Roman. Unbedingt lesenswert!