Welthaltig

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bibliofila Avatar

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Ich schätze die ruhige Tonlage dieses Textes übers Weggehen und Wiederkommen sehr, ebenso seine Unaufgeregtheit.

Da ist die Icherzählerin Julia, die genug hat von ihrem Sozialberuf. Sehr gut nachvollziehbar, dass jemand nach so langer Zeit teilweiser Selbstaufgabe einen Bürojob als Befreiung empfindet.
Die Mutter der Icherzählerin wiederum verlässt nach Jahrzehnten ihren häuslichen Pflichtarbeitsplatz und geht nach Italien, um dort ein neues Leben zu beginnen. Ihre Entscheidung am Ende des Romans hat mich dann wirklich überrascht.

Während der Lektüre habe ich manchmal darüber nachgedacht, ob eine solche Häufung an soziologisch relevanten Themen (Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Grundsicherung, Ausbrennen, 24-Stunden-Pflege, Alleinerzieherdasein, Sorgearbeit etc.) eventuell von der Autorin von Anfang an geplant war und sich nicht aus den Figuren heraus entwickelt hat, umgekehrt also die Figuren als Exemplifizierung für diese Themen entwickelt worden sind.

In die Traurigkeit der am Heimatort Festsitzenden mischt sich zuletzt Hoffnung, wie schön!

An einigen wenigen Stellen habe ich mich gewundert, dass die Icherzählerin auf einmal ihre Gedanken in poetischen Metaphern formuliert. Auch wenn mich das ein wenig irritiert hat: Es sind schöne Worte!

Als besonders aufmerksam fand ich die Hinweise der Autorin auf der letzten Seite, woher sie Anregungen bekommen hat, fast wie bei einer wissenschaftlichen Arbeit führt sie diese an. Ich lese diesen Roman auch als persönliche Verneigung vor Marie Jahoda.
Die Formulierung, jede Übereinstimmung mit der Wirklichkeit sei zufällig, ließ mich schmunzeln.

Ein schöner und welthaltiger Roman, der keine spektakulären Inhalte braucht, um bedeutungsvoll zu sein.