Alles ausgedacht?

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Athena Liu und June Hayward sind Freundinnen, die beide einen Debütroman rausgebracht haben. Doch während Athena der neue Stern der Literaturbranche wird, hat Junes Roman nur mäßigen Erfolg. Bei einem ausgelassenen Abend stirbt Athena durch einen Unfall. June ist dabei und hat die Chance an Athenas neustes Manuskript, das noch niemand zu Gesicht bekommen hat, mitzunehmen. Mit ihrem neuen Künstlernamen Juniper Song veröffentlicht sie den Roman, denn es ist ja nicht so wichtig, wer die Geschichte erzählt - oder? Und mit diesem Geheimnis beginnt ihre Realität zu verschwimmen.

Kuang erzählt einen Thriller über die Strukturen der Literaturbranche. Ihr Schreibstil ist hier unkompliziert und direkt. Die Absätze und Kapitelenden so spannend gehalten, dass ich das Buch nur ungern aus der Hand gelegt habe. Sie schildert aus der Sicht von June, wie beschwerlich der Weg zum eigenen Buch ist. Und June geht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen, um doch noch den Erfolg zu haben, den sie sich immer gewünscht hat. „Yellowface“ liest sich zunächst wie ein Geständnis, wenn June aus ihrer Erzählperspektive das Wort und Fragen an die Leser*innen richtet. Noch nie hatte ich so ambivalente Gefühle einer Figur gegenüber, denn June ist definitiv keine Sympathieträgerin. Und doch habe ich Mitleid mit ihr entwickelt aber genauso hat sie mich mit ihren Gedanken, Handlungen und Entscheidungen verständnislos den Kopf schütteln lassen. Sehr präzise beschreibt Kuang, wie sich June die chinesische Kultur und Geschichte zu eigen macht und wie whitewashing in dieser Branche genutzt wird. Darauf bezogen werden ebenfalls die Mechanismen von Social Media und Cancel Culture bearbeitet. Die Aspekte des geraubten Manuskripts, die Rassismusvorwürfe mit denen sich June konfrontiert sieht, die Einsamkeit und ihre Angst die Wahrheit zu gestehen, machen das Buch unglaublich vielschichtig. Damit macht Kuang auf eine sehr geschickte Art und Weise gleich mehrere gesellschaftskritische Metaebenen auf und lässt Ambivalenz entstehen. In ihrem Versuch die Kontrolle zu behalten verliert sich June nach und nach selbst und entscheidet sich an wichtigen Punkten für ihre Gesichtswahrung gegen ein Geständnis, obwohl ihr Ruf immer mehr Schaden nimmt. Und irgendwann habe ich mich sogar gefragt in wie fern June und ihrer Erzählung Glauben geschenkt werden kann. Denn vielleicht ist diese Geschichte, die June hier erzählt oder gesteht auch nur…erdacht.
Macht euch unbedingt selbst ein Bild davon!
„Ich werde eine Geschichte entwickeln und verkaufen, in der es darum geht, wie der Druck in der Branche es für weiße und nicht-weiße Autorinnen gleichermaßen unmöglich macht, erfolgreich zu sein“.