Einblick in eine hart umkämpfte Branche

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Auf den ersten Seiten trieft „Yellowface“ von Rebecca F. Kuang vor allem vor eines: vor NEID. Die Ich-Erzählerin June Hayward berichtet uns Lesern von ihrer besten Freundin Athena Liu. Beide sind Schriftstellerinnen, doch die eine ist erfolgreicher als die andere. Und June neidet Athena ihren Erfolg. Sie erscheint uns also als höchst unsympathischer Charakter. Für sie macht es den Eindruck, als würde in der Buchbranche sehr willkürlich darüber entschieden, welche Autoren „gepusht“ werden und welche nicht. Athena kommt in ihrem Bericht nicht gut weg. Sie sei keine gute Zuhörerin und gebe gehörig mit ihrem Erfolg an. Als Leser hatte ich den Eindruck, als stünde Athena mehr Bescheidenheit gut zu Gesicht. Kurzum: Von einer Freundschaft zwischen den beiden kann nicht die Rede sein.



Auf ihrem Höhepunkt des Erfolg angekommen (Athena hat gerade erst einen Vertrag über eine Verfilmung unterschrieben), bricht das Unglück hart über sie herein. Athena erstickt an einem Stück Pfannkuchen und June kann ihr nicht mehr helfen. Die Ich-Erzählerin nutzt die Gunst der Stunde, entwendet Athenas unvollendetes Manuskript, überarbeitet es und gibt es als ihr eigenes heraus. Ihre Trauer hält sich in Grenzen. Sie schlachtet das Geschehen sogar noch für Twitter aus. Dabei wird deutlich, dass sie ihre Betroffenheit über den Tod der Freundin regelrecht spielt. Spätestens jetzt hat June alle Sympathien beim Leser verloren.



Im weiteren Handlungsverlauf erleben wir die Geschichte des Auf- und des Abstiegs von June. Sie rechtfertigt sich in einer direkten Leseransprache sogar für ihr Handeln. Und zunächst ist sie überaus erfolgreich. Sie verdient gutes Geld. Ihr plagiiertes Buch schlägt sofort in die Bestseller-Liste ein. Sie wird mit Preisen überhäuft und erhält viele Einladungen zu verschiedenen Veranstaltungen. Und wir erhalten folgende Einblicke in den Literaturbetrieb: in die Überarbeitungsprozesse eines Textes sowie in das Marketing eines Titels. Spannend und für mich neu war auch die Information, wie sensibel Werke vermarktet werden müssen (Stichwort: kulturelle Aneignung), um nicht den Zorn der sozialen Medien auf sich zu ziehen. Es gibt sogar sogenannte „sensitivity reader“, die ein Werk im Vorfeld auf problematische Textstellen überprüfen. Das wusste ich nicht! Auch ein entsprechendes Image von Autoren muss kreiert werden. Und um die Verkaufszahlen zu forcieren, muss auf „social-media“- Kanälen viel zur textverfassenden Person und zum Buch gepostet werden. Zu einer Wendung kommt es, als dann die Vorwürfe im Netz auftauchen, dass June plagiiert hat. Es stellen sich folgende Fragen: Wie wird June mit der Beschuldigung umgehen? Wie geht es mit ihr weiter? Und wer steckt hinter den anonymen Behauptungen? Und woher wissen die anonymen Stimmen von Junes Diebstahl? Ich verrate nur so viel: Es ist unglaublich, mit welcher Verachtung und mit welchem Psychoterror man June fortan begegnet. Auf den sozialen Medien wird eine Hexenjagd auf sie veranstaltet. Der Klatsch und Tratsch, der entsteht, ist niederträchtig. Paradoxerweise kurbelt der Hass auf June aber ihre Verkaufszahlen an. Verrückte Welt! Sicherlich auch ein Seitenhieb auf den „hatespeech“ im Internet und noch dazu ein kritischer Hinweis auf die Macht von „social-media“. Und letztlich wird auch die kurze Aufmerksamkeitsspanne des Betriebs rund ums Buch beanstandet. Die Marktmechanismen werden gut veranschaulicht und auch nebenbei wird auch deutlich, wie schwer es für Autoren sein kann, immer wieder aufs Neue kreativ zu werden.



Folgendes hat mich an dem Buch gestört: Wie erwähnt, muss man sich als Leser darauf einlassen können, dass es sich bei June um eine unsympathische Figur handelt. Ich habe mich stellenweise etwas schwer mit der Protagonistin getan. Darüber hinaus habe ich mich stellenweise gefragt, wie realistisch der Einblick in die Buchbranche ist. Ist das, was über den amerikanischen Betrieb rund ums Buch geschildert wird, ohne Weiteres auf den deutschen Markt übertragbar (z.B. das hohe Honorar im Zuge von Vertragsverhandlungen? Werden wirklich sechsstellige Summen für Bücher bezahlt?). Ich denke eher nicht, aber ich bin natürlich kein Experte. Mir erschien die Darstellung von Autoren als „Popstars“ nicht sehr wirklichkeitsnah. In Deutschland stellt sich die Situation sogar eher so dar, dass gerade junge Autoren, die sich durchsetzen wollen, nicht gerade üppig bezahlt werden. Sie erhalten als Tantiemen ca. 5-10% des Verkaufspreises pro Buch (vgl. dazu z.B. die Informationen auf der Seite von „Autorenwelt“). Was ich mich auch gefragt habe: Führen die Verlage eigentlich Marktforschung durch, um zu überprüfen, ob die Marketing-Strategien auch den gewünschten Effekt nach sich ziehen? Nach meinem Geschmack hätte der Einblick in den Literaturbetrieb sogar noch tiefgründiger ausfallen können. Das Geschäft mit den „sensivity readern“ kannte ich zwar bisher nicht, aber der Rest war für mich nichts Neues oder Überraschendes. Und abschließend noch ein Kritikpunkt, der auch in vielen anderen Rezensionen bereits benannt worden ist: Ist die genderneutrale Schreibweise in dem Buch ein Störfaktor? Mich hat es nicht gestört, aber ich möchte darauf hinweisen, dass die Doppelpunkt-Schreibung nicht barrierefrei ist (vgl. dazu meine Rezension zu Johanna Usinger: „Einfach können. Gendern“). Auch gebe ich zu bedenken, dass es vom Rat für Rechtschreibung noch keine klare Regelung gibt. Ich gebe dem Buch aufgrund der genannten Kritikpunkte 4 Sterne. Es war eine unterhaltsame Lektüre, aber kein Highlight, das 5 Sterne verdient.