Garantie zum Fremdschämen

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lesestress Avatar

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»Neid wird immer als dieses spitze, grüne, giftige Ding beschrieben. Unbegründet, essigsauer, gemein. Aber ich habe festgestellt, dass sich Neid für Autorinnen eher anfühlt wie Angst.«

June Hayward und Athena Liu könnten beide aufstrebende Stars der Literaturszene sein. Doch während die chinesisch-amerikanische Autorin Athena für ihre Romane gefeiert wird, fristet June ihr Dasein im Abseits. Ihre Geschichten, so glaubt June, sind nicht woke und divers genug, sie stechen nicht hervor, behandeln »nur« das Leben »ganz normaler« weißer Mädchen. Um trotzdem ein bisschen am Verlagsleben teilzunehmen, trifft sie sich gelegentlich mit Athena und lässt sich von ihren neuesten Erfolgen sowie dem branchenüblichen Gossip erzählen. Als June Zeugin wird, wie Athena bei einem Unfall stirbt, stiehlt sie im Affekt ihr neuestes, gerade vollendetes Manuskript, einen Roman über die Heldentaten chinesischer Arbeiter während des Ersten Weltkriegs. June überarbeitet das Werk und veröffentlicht es schlussendlich selbst – unter ihrem neuen Künstlernamen Juniper Song. Denn verdient es dieses Stück Geschichte nicht, erzählt zu werden, und zwar egal von wem? June muss nun dieses Geheimnis hüten, aber wie schwer kann das sein, wenn eigentlich nur sie die Wahrheit kennt …

Rebecca F. Kuang ist eine verdammte Heldin, die mit den Fingern (oder gar der ganzen Hand?) in den Wunden der Verlagswelt drückt, pult und reißt – und die sich mit »Yellowface« einmal mehr in mein Herz geschrieben hat! Viele Menschen (einschließlich mir selbst) haben eine romantisierte Vorstellung vom Verlagswesen und die ist ungefähr so: Es gibt schöne und wichtige Bücher, die sich beinahe von selbst schreiben und die von klugen Menschen mit wenig Aufwand lektoriert und veröffentlicht werden. Alle Arbeitsschritte verlangen natürlich Tee und Gebäck. Der Umgang ist stets freundlich, alle sind sich einig. HAPPY END! So scheint es jedenfalls oft. Aber Kuang enthüllt mit »Yellowface« die not-instagrammable Seiten dieser Welt, schreibt vom branchenüblichen Rassismus und seiner Misogynie, von Fremdenfeindlichkeit und Exotisierung, aber auch von Pretty-Privilege und Plagiaterie. Und als wäre das nicht schon heldinnenhaft genug, packt sie all diese Themen in einen Bestseller über einen Beststeller, und »zwingt« die Branche so zur Veröffentlichung seiner selbst. Wie ich eingangs schon schrieb ist Rebecca F. Kuang verdammte Heldin, und »Yellowface« ein rasanter, irrwitziger und unbequemer Pageturner mit der Garantie zum Fremdschämen. Ganz große Leseempfehlung – nicht zuletzt, weil die fabelhafte Jasmin Humburg das Buch ins Deutsche übertragen hat!