Geschichte mit Sogwirkung, aber auch Luft nach oben

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throughmistymarches Avatar

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Man kann R. F. Kuang nicht mehr aus dem Weg gehen, selbst wenn man möchte. Nach "Babel" ist "Yellowface" überall. Und das Cover mit den markanten Augen auf leuchtend gelbem Hintergrund ist natürlich sehr prägnant.

Athena Liu, junge literarische Sensation, stirbt vor June Haywards Augen. June, die auch gerne so erfolgreich wäre wie ihre einstige Kommilitonin, entdeckt bei Athena ein unveröffentlichtes Manuskript, nimmt es mit, bearbeitet es und gibt es als ihr eigenes Werk aus.

Diversität, Rassismus, kulturelle Aneignung sind zentrale Themen von „Yellowface“, denn die geklaute Geschichte beschäftigt sich mit chinesischen Arbeitern in der britischen Armee während des 1. Weltkriegs – eher weniger Junes literarisches Zuhause. Das Pseudonym "Juniper Song" tut sein Übriges. Die Shitstorms in den Sozialen Medien sind vorprogrammiert und wirken sehr authentisch.

„Yellowface“ ist äußerst dynamisch; wie June als Ich-Erzählerin sich immer tiefer und tiefer in ihre Lügen verstrickt und wie letztendlich das ganze Lügenkonstrukt zusammenbrechen zu droht, hat eine regelrechte Sogwirkung. Was mir gut gefallen hat, war die Zeichnung der beiden Protagonistinnen. Sowohl June als auch Athena sind so köstlich unsympathisch (ganz grandios ist übrigens die Performance der Sprecherin des englischen Hörbuchs, die beide Charaktere wunderbar darstellt).

Dennoch kann ich nicht mehr als 3 Sterne geben, denn irgendwas fehlte mir. Kuang beschreibt, was tatsächlich in der (kulturellen) Welt immer und immer wieder passiert. Das ist es auch schon. Sie beschreibt es, aber es kommt wenig Neues dazu. Zudem hilft die überspitzte satirische Darstellung manchmal nicht wirklich; dadurch geht Authentizität verloren, die an anderen Stellen des Romans gut durchscheint.