Graustufen?!

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poisonalice Avatar

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Als ich die Buchankündigung das erste Mal gesehen habe, war ich fasziniert. Der Titel, die Augen welche einem zu folgen scheinen. Beim zweiten Blick, dachte ich eher wie provokant. Nachdem ich das Buch gelesen habe, kann ich sagen der Verlag hat erstklassige Arbeit geleistet. Das Buch wird in jedem Fall Aufmerksamkeit und Diskussionen auslösen und sei es zuerst über Titel und Buchcover.
June Hayward und Athene Liu sind alte Freundinnen vom College. Beide sind Autorinnen während Athena der Star der Literaturszene ist, ist June eher ambitioniert aber mäßig erfolgreich. June schiebt Athenas Erfolg vor allem auf ihre chinesisch-amerikanische Abstammung. Als Athena während eines gemeinsamen Abends unverhofft stirbt, stiehlt June ihr neustes noch unveröffentlichtes Manuskript und gibt es überarbeitet unter dem Namen Juniper Song als ihr eigenes heraus. Doch kann/darf es sein, dass eine Person ohne chinesische Abstammung ein Buch über chinesische Arbeiter im ersten Weltkrieg schreibt? June muss ihr Geheimnis hüten, aber um jeden Preis?
Ich muss sagen, die ersten Seiten des Romans begannen etwas zäh und die Ich-Erzählerin June war mir nicht besonders sympathisch. Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass mir June im Verlauf der Geschichte nicht sympathischer wurde. Das hat im Wesentlichen damit zu tun, dass sie in meinen Augen eine von Neid und Aufmerksamkeitssucht zerfressene Person ist. Das sie Aufmerksamkeit vor allem im Internet und auf Social-Media-Kanälen sucht, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Die für mich besten Seiten des Buches waren tatsächlich die vor Athenas Tod.
Der Autorin ist es hier gelungen eine wie ich finde sehr authentische Hauptfigur zu erschaffen. Leider bleibt June, obwohl sie als Ich-Erzählerin quasi den Roman ausmacht farblos. Phasenweise hatte ich das Gefühl man hört einem zusammenhanglosen Monolog zu. Die Nebenfiguren, welche auftauchen sind fast schon nebulös und unsichtbar.
Der Schreibstil der Autorin ist phasenweise sehr zäh, aber teilweise auch sehr einnehmend und intensiv. Der Roman ist in meinen Augen größtenteils von negativen Gefühlen durchdrungen. Der anfängliche Wortwitz und die subtile Ironie haben den Schauplatz schnell verlassen. Die intensivsten Gefühle welche ich beim Lesen gespürt haben waren Beklemmung, Entsetzten, Wut aber auch Fremdscham. Die ausufernden Beschreibungen über das Verlagswesen haben mich gelangweilt und meinen Lesefluss gestört. Ich kann an dieser Stelle nicht genauer werden, aber echte Fremdscham haben Junes Gespräche mit Athenas Mutter ausgelöst. Währenddessen ich an einigen Stellen sogar Mitleid mit June hatte. Dass die Autorin Stalking und Mobbing im Internet thematisiert hat fand ich gut. Das Ende des Romans ist etwas merkwürdig, wenn auch sehr passend zum Gesamtkonzept.

Als ich den Roman zu Ende gelesen hatte, habe ich mich wiederholt gefragt, ob der Roman möglicherweise auf einer realen Geschichte basiert.
Mein Fazit: das Buch ist durchaus lesenswert. Dieser Roman zeigt wiedermal, dass es völlig egal ist, was ich über dieses Buch denke, denn jede Leserin und jeder Leser sollte sich ein eigenes Urteil bilden und eigene Schlüsse ziehen. Für mich war dieses Buch zuerst eine Geschichte über geistigen Diebstahl, ausufernden Hass, Neid, Paranoia und dann vielleicht auch über kulturelle Aneignung. Jeder Roman hat seinen eigenen Subtext, so auch dieser. Ich bin mir sicher, dass dieser Roman für Aufmerksamkeit und viel Diskussion sorgen wird.