Von Einsamkeit und Twitter-Dramen

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Ich habe eine zwiespältige Meinung zu Yellowface von R.F. Kuang, denn einerseits wurde ich total gut unterhalten und habe die Geschichte rund um die weiße Autorin June „Juniper Song“ Hayward, die einer Autorin of Colour, Athena Liu, das Manuskript stiehlt und es als ihr eigenes ausgibt, regelrecht verschlungen! Zwischendurch ist mir der Satz „it sucked me in like a juicy twitter drama“ im Kopf, denn so hat sich das Lesen für mich angefühlt – witzig, denn das Buch hält den Twitter-Drama-Fans ganz schön den Spiegel vor. Andererseits hatte es aber nicht ganz den Nachhall, den ich mir erhofft hatte.

Ich hatte erwartet, dass es das Thema der kulturellen Aneignung und der Ausbeutung von Diversität erkundet – wer darf welche Geschichten schreiben? Welche Intersektionen spielen eine Rolle? Athena Liu ist zwar Asian-American, kommt aber aus einem reichen Elternhaus und hatte einen privilegierten Bildungsweg. Sie schreibt dramatische, herzzerreißende Romane mit chinesischem Setting, ohne jedoch länger in China gelebt zu haben (die Parallelen zu Kuangs eigenem Hintergrund und Schaffen sind eindeutig). Teilweise verletzt sie ihre Familie und Freund*innen damit, denn auch deren persönliche Geschichten bleiben von Athenas schonungsloser kreativen Verwertung nicht verschont. Mit welchem Recht dürfen diasporische Autor*innen so etwas schreiben, welche Rolle spielen postgenerationale Traumata, und wie werden Privilegien reflektiert, solche Geschichten in der größten Verlagsindustrie der Welt zu veröffentlichen? Ansatzweise war das alles vorhanden, allerdings gerieten diese Themen im Verlauf des Buches in den Hintergrund und eine eindeutige, konsequente Einordnung einer Kreativindustrie, die auf neoliberalen Prinzipien beruht, ging verloren.

Als Buchbloggerin fand ich es etwas seltsam, dass reale Kritik, die Kuang insbesondere für ihre Poppy-War-Trilogie erhalten hat (sie wurde für ihre Darstellung von Taiwan kritisiert), in Yellowface verarbeitet und mehr oder weniger heruntergespielt wurde. Ich fand es zwar interessant, welche Sicht Autor*innen auf uns bei Social Media aktiven Lesende haben, allerdings wurden ein paar bekannte Bloggende genannt (der Name wurde etwas geändert) und es kamen echte Social-Media-Dramen vor, und ich frage mich was die Intention dahinter war. Da bleibt nur der Eindruck, dass sich Kuang wohl gut mit Twitter, Goodreads, TikTok und Co. auskennt und diese Diskurse verfolgt hat.

Im Nachwort schreibt Kuang, dass Yellowface eine Geschichte über Einsamkeit als Schreibende, als „creative worker“, in der Buchindustrie ist. Und das, das nehme ich dem Buch komplett ab. June, aus deren Sicht erzählt wird, fängt immer mehr an ihren Selbstwert über bloße Zahlen zu definieren. Sie flüchtet sich immer mehr in die Welt von Social Media und Oberflächlichkeiten, um sich immer und immer und immer wieder selbst zu bestätigen; ihre Bemühungen, sich wieder mit der Realität, mit ihren Mitmenschen zu befassen, scheitern. Kollegiale und freundschaftliche Beziehungen zu anderen Schreibenden können von June nicht aufrechterhalten werden. Sie wird ständig bewertet, das ganze System ist auf Bewertung ausgelegt, und was macht das mit einer kreativen Person? Gegen Ende gab es für meinen Geschmack zu viel Küchenpsychologisches, aber die Übertreibungen haben zum Ansatz des Satiregenres gepasst. Und auch Athena hatte ein unfassbar einsames Leben, denn ihre Arbeit wird zwar vom Publikum wertgeschätzt, doch definierte sie sich über diesen Erfolg und insbesondere ihre Außendarstellung und Reichtum. Interessant, denn Kuang hat in einem Interview erwähnt, dass Athena all das verkörpert, was sie selbst hofft, niemals zu werden. Keine der beiden Figuren ist also wirklich sympathisch, so hat es durchaus Spaß gemacht, entlang dieser moralischen Fragwürdigkeiten zu lesen.

Ich vergebe 3,5 Sterne.