Was. Für. Ein. Buch!

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annajo Avatar

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Gehypte Bücher sind immer schwierig. Wenn ein Buch schon vor dem Erscheinen (der Übersetzung) derart präsent ist und hochgelobt wird, sind die Erwartungen enorm. Yellowface hat mich jedoch positiv überrascht.

June Hayward muss zusehen, wie Athena Liu, Freundin seit College-Tagen, Halbchinesin und Literatur-Shootingstar, vor ihren Augen stirbt. Beide verbindet der Kampf um erfolgreiche Veröffentlichungen auf dem Buchmarkt. Mit dem Unterschied, dass Junes Debüt floppte, während Athena zum Publikumsliebling aufstieg. Jetzt, nach Athenas Tod, veröffentlicht June ein Buch über chinesische Arbeiter während des Ersten Weltkriegs. Es wird binnen kürzester Zeit ein Bestseller und June lebt nun endlich das Leben, das sie sich verdient zu haben glaubt. Doch ebenso schnell kommen in den Sozialen Medien Gerüchte auf. Ist “Die letzte Front” nicht möglicherweise ein Buch von Athena Liu? Und selbst wenn nicht, darf eine weiße Frau ohne chinesische Wurzeln eine solche Geschichte veröffentlichen und daran viel Geld verdienen? Und hat die Autorin nicht sogar “yellowfacing” betrieben, indem sie unter dem Namen Juniper Song veröffentlichte und somit zumindest suggerierte, einen asiatischen Hintergrund zu haben?

Dieses Buch verbindet zahlreiche, durchaus kontroverse Themen gekonnt miteinander, ohne dass man das Gefühl hat, dass es überladen ist. Es ist vielschichtig und gibt vielfach Denkanstöße. Nicht nur im Buch selbst geht es um Fragen von kultureller Aneignung, Rassismus, Diskriminierung im Verlagswesen und Cancel Culture. Auch in Bezug auf “Yellowface” selbst kommt der Gedanke auf, ob eine Autorin anderer Herkunft hätte all diese (kritischen) Dinge schreiben dürfen. Thematisch ist das Buch absolut modern und auf der Höhe der Zeit und neben einem spannenden Einblick in das Verlagswesen spürt es überzeugend und authentisch den Social Media Shitstorms nach, denen Personen in der Öffentlichkeit bei dem kleinsten Verdacht auf Fehlverhalten ausgesetzt sind und was dies mit ihnen anzurichten vermag.
Der Stil ist angenehm, nicht lyrisch, aber doch immer mal mit herausragenden Sätzen, die ich mir gern angestrichen hätte, wenn ich in meinen Büchern herumstreichen würde. Genretechnisch ist es ein interessanter Mix aus verschiedenen Elementen. Die Protagonistin ist zwar leider eine Antiheldin, aber es ist dennoch spannend zu verfolgen, wie sie ihre eigenen Handlungen reflektiert und notfalls umdeutet.
Am Ende saß ich einfach nur sprachlos da. Ich wusste zunächst kaum, wie ich das Buch beschreiben soll. Also bleibt mir nur zu sagen, dass mir dieses Buch beim Lesen unglaublich Spaß gemacht hat. Allein schon das ganze Setting der Buchbranche hat mich als Buchliebhaberin gefesselt. Aber ich habe letztlich auch mit June gefiebert, war wie gebannt und habe die vielen Denkanstöße sehr genossen. Das Buch hat richtiggehend süchtig gemacht. Und es zeigt eindrucksvoll, wie man gesellschaftskritische und aktuelle Themen umsetzen kann, ohne beständig mit der Moralkeule zu schwingen. Stattdessen macht sich die Autorin vielerlei Emotionen und Stimmen gekonnt zunutze. Für mich jetzt schon ein Jahreshighlight und ein absolut verdienter Hype.