Weißgelb und Neidgrün

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Die Bewertung von "Yellowface" fällt mir gar nicht leicht. Vor allem fällt es mir nicht leicht, sie in Sterne zu übersetzen.
Die Geschichte wird erzählt aus der Perspektive von June, einer erfolglosen Romanautorin, die einen Abend mit ihrer Freundin Athena Liu verbringt. Athena ist ebenfalls eine Romanautorin, jedoch umso erfolgreicher. Sie steht kurz vor dem Abschluss eines Vertrages mit Netflix, als June an jenem Abend die einzige Zeugin ihres Unfalltodes wird. Im Chaos dieser Nacht lässt June mehr durch Zufall als durch Absicht Athenas neuestes Manuskript mitgehen: Eine unveröffentlichte Geschichte über das chinesischen Arbeiterkorps während des ersten Weltkrieges. Später wird sie den Text stark überarbeiten und unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen. Sie hat ihn gestohlen und steigt mit Athenas Text urplötzlich zum Literaturstar auf.
"Yellowface"setzt sich intensiv mit dem US-amerikanischen Literaturbetrieb und der Literaturcommunity auseinander. Insbesondere geht es um die Art und Weise, wie diese in den sozialen Medien funktioniert, aber auch darum, wie ungerecht und toxisch dieses Umfeld für aufstrebende Schreibende sein kann. Gleichzeitig geht es um Wokeness in der Popkultur, um Kulturkämpfe und verschiedene Perspektiven in diesen, um Whitewashing und eben um Yellowfacing: June wird angehalten, sich Juniper Song zu nennen, da ein asiatisch klingender Name besser zu dem chinesisch-historischen Thema ihres Romans passt, und um zu verhindern, dass man ihr als weiße Person kulturelle Aneignung vorwirft.
All diese Themen verarbeitet die Autorin auf beeindruckende Art und Weise in ihrem Text. Das ist interessant zu lesen, ultimativ hatte ich jedoch manchmal das Gefühl, dass die Geschichte dahinter verloren geht. Da war so viel Gesellschaftskritik und so viel Darstellung der Literaturszene, dass ich gar nicht richtig weiß, wer June ist. Ihre Figur, ihre Hintergründe, bleiben für mich durchgängig blass. Dabei wäre es mir so wichtig gewesen, sie verstehen oder zumindest richtig kennenzulernen, da sich doch so verdammt ambivalent ist. Unsympathisch in erster Linie, selbstgerecht, neidgetrieben, manchmal empfindet man Mitleid für sie, manchmal einfach nur Unverständnis, manchmal vergisst man kurz, dass sie nicht nur Opfer, sondern auch Täterin ist - oder umgekehrt. Die Person, die das Zentrum des Buchs bildet, bleibt also schwammig. Auch Athena ist ein Rätsel für mich, sie bleibt geisterhaft. Obwohl ich vermute, dass das so beabsichtigt ist, hilft es in meinen Augen, der Geschichte nicht.
Das Ende ist großartig konzipiert und gleichzeitig so voller subtiler Wendungen, dass es einen relativ handlungsarmen Mittelteil verzeihbar macht.
Manchmal habe ich das Gefühl, das Buch dreht sich um sich selbst.

"Yellowface" ist für mich einer der meist erwarteten und herausstechenden Romane dieses Frühjahrs gewesen. Das Buch ist klug konzipiert und großartig geschrieben. Man lernt viel über Literatur, ihre Entstehung, und den Literaturbetrieb. Am liebsten würde man selbst sofort anfangen zu schreiben, wenn man es liest. Nichtsdestotrotz verliert sich der Text meiner Meinung nach auf vielen einzelnen thematischen Baustellen und in dem unfertigen Charakter seiner Antiheldin.