Der Name ist Programm

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krabbe077 Avatar

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Mal wieder ein Debütroman, dieses Mal von Jenifer Becker, die in Zeiten der Langeweile das Thema des digitalen Ausstiegs aufgreift. Die Ich-Erzählerin Mila lässt uns Zeuge werden, wie sie nach und nach sämtliche Spuren beseitigt, die sie je im Internet hinterlassen hat, und ein analoges Leben führen möchte.

Was zunächst nach einem sehr anschlussfähigen und stets präsenten Thema klingt, liest sich dann doch teilweise wie eine Aneinanderreihung ätzender Klischees, die in einer Psychose endet. Mila ist Mitte Dreißig, Akademikerin mit auslaufendem Arbeitsvertrag in Berlin, die sich den Mechanismen der digitalen Welt nicht weiter unterwerfen möchte. Sie löscht ihre Social-Media-Accounts und Messenger, verabschiedet sich von ihrem iPhone (natürlich ein iPhone) und kündigt ihre zahlreichen Streaming-Abos. Was mich gleich zu Beginn unheimlich gestört hat, ist das völlig unreflektierte Gleichsetzen der digitalen mit der sozialen Isolation. Die Erzählerin unternimmt keine Anstrengungen, ihr Sozialleben zu erhalten, stellt dies aber immer ausschließlich in Zusammenhang mit ihrer Abwendung von der digitalen Welt. Aus der Außenperspektive zeugt das bloß davon, dass sie schon lange die Kontrolle über ihr Onlineverhalten verloren hat und beinhaltet wenig gesellschaftliche Aussagekraft. Mila weiß selbst nie so richtig, wohin sich diese Sache eigentlich entwickeln soll. Ihre initiale Motivation war die Angst, gecancelt zu werden. Das unterstreicht wiederum, dass man es hier mit einer sehr individuellen Erfahrung zu tun hat, die Erzählerin ihre persönlichen Probleme aber einer ganzen Gesellschaft diagnostiziert. Ein kurzes Innehalten Milas, in dem sie sich bewusstmacht, dass ihr Lifestyle ein einziges Klischee ist, das in der Realität von 90 % der Gesellschaft überhaupt keinen Platz haben kann, würde sie zumindest seriöser wirken lassen. Dann aber würde der ganze Roman wahrscheinlich nicht funktionieren.

Zur Mitte des Buches beschäftigt sich Mila mit Aussteigerliteratur wie beispielsweise dem Manifest des Unabombers Ted Kaczynski. An dieser Stelle wurde meine Neugierde wieder geweckt und ich fragte mich, ob die Geschichte noch einen unerwarteten Twist bekommt oder die Erzählerin möglicherweise irgendwelche weitreichenden Schlüsse über ihre analoge Reise zieht. Leider ändert sich am Verlauf der Geschichte wenig, die Entfremdung der Erzählerin nimmt immer weiter zu. Ein abschließendes Ende gibt es nicht, eine Botschaft darf man sich selbst zusammensuchen, was nicht zwingend negativ zu werten ist.

Insgesamt beinhaltet das Buch zwar viele interessante Gedanken und ist sprachlich angenehm und schnörkellos geschrieben. Aber die Erzählerin ist leider ein anstrengendes Klischee einer Großstadtperson (alles an ihr schreit Berlin), die sich selbst und ihre Probleme viel zu wichtig nimmt und damit wahrscheinlich auch nur solchen Menschen Identifikationspotenzial bietet. Das trübt dann auch die teilweise spannenden Ausführungen über die rasanten Entwicklungen eines menschenverachtenden, digitalen Kapitalismus. Ein weiterer Störfaktor für mich waren die unauthentischen Erzählungen über Milas Kommunikation mit dem Jobcenter und die App BeReal. Diese Passagen wirkten halbherzig recherchiert, als würde sich die Autorin an dieser Stelle auf fremdem Terrain bewegen.