Spannend, aber Mini-Kapitel

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lst1398 Avatar

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„Zerissen“ war für mich das erste Buch von Michael Tsokos, das ich lesen durfte. Da seine Bücher so gelobt werden, war ich natürlich ganz besonders gespannt. Dass die Handlung eine Verarbeitung realer Geschehnisse ist und der Autor echtes Wissen im Bereich der Rechtsmedizin und Forensik hat, hat mich besonders gereizt, da ich selbst mal Rechtsmedizinerin werden wollte. Daher fand ich besonders die Beschreibungen der Obduktionen total faszinierend.

Das Buch beginnt mit der Beschreibung eines grausamen Verbrechens aus der Perspektive des Opfers. Danach geht es in den Alltag von diversen Personen über. Dann gilt es natürlich zu klären, wer das Opfer war und wer die Täter. Als wäre das nicht schon genug, stellt sich auch die Frage, was mit der kleinen Nichte von Sabine Yao, Fred Abels Kollegin, passiert ist, die vermutlich nie wieder die Augen öffnen wird. Und was ist mit dem Arzt, der so einigen Dreck am Stecken hat? Und Lars Moewig, der sich selbst in Gefahr bringt und die Lebensgefährtin von Fred Abel, die schwanger ist und ins Visier der Täter rückt? So viele Sub-Plots, die sich zu einem großen, spannenden Werk verbinden. Und der reale Hintergrund gibt nochmal einen besonderen Kick.

Es gibt jedoch einen Punkt, der für mich persönlich einfach nichts war: Die Kapitellängen. Die gesamte Handlung über wird aus der Perspektive von einigen verschiedenen Personen erzählt. Prinzipiell mag ich so etwas sehr gerne, da man einfach einen größeren Überblick über die Story-Welt bekommt. Problem dabei ist jedoch, dass mich das Buch deshalb an keiner Stelle länger packen konnte. Die einzelnen Kapitel sind immer nur wenige Seiten lang, zum Teil gibt es auch Kapitel, die gerade mal eine halbe Seite umfassen. Mit jedem nächsten Kapitel wechselt aber auch die Erzählperspektive. Dementsprechend kommt es vor, dass es gerade anfängt in einem Kapitel spannend zu werden, und dann ist plötzlich das Kapitel zuende und die Perspektive wechselt.

Auf mich hat das einen sehr filmischen Charakter gehabt; es wird versucht so gut es geht die vielen Dinge zu zeigen, die gleichzeitig passieren. Leider wird man so aber auch immer wieder aus der Handlung gerissen. Statt Spannung auf das, was als nächstes passiert, habe ich nach einer Weile eher Frustration empfunden. Wären die Kapitel so in etwa 10 Seiten lang, hätte man als Leser genug Zeit um sich in die Situation hineinzuversetzen und weiterlesen zu wollen. So war es für mich aber so, dass ich gerade begonnen hatte mitzufühlen und schwupps kommt der Wechsel. Dementsprechend kam für mich leider nie das Gefühl auf, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Natürlich ist das reine Geschmackssache. Viele mögen sicher genau diese Erzählweise. Ich persönlich bevorzuge aber längere Kapitel. Dennoch fand ich das Buch aber gut. Selbst wenn ich mal ein paar Tage nicht weitergelesen habe, konnte ich das Buch nehmen und einfach mitten im Absatz weiterlesen, ohne das Gefühl zu haben völlig orientierungslos in der Szene zu sein. Das spricht eigentlich nur für den Schreibstil.

Wer also kein Problem mit kurzen Kapiteln hat, für den ist das Buch definitiv eine Empfehlung.