Ausweglos

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Was ist das Wichtigste im Leben eines Menschen? In den meisten Fällen sind es die Menschen, die wir lieben. Wie gewinnt man also Macht über Menschen? Indem man das Leben der Menschen, die er liebt, bedroht ...
Dieses ganz einfache Prinzip macht sich der spanische Autor Juan Gomez-Jurado in seinem Roman „Zerrissen“ zunutze – aber das auf sehr spannende und intelligente Weise. Dabei scheint am Anfang schon alles klar: Seine Hauptfigur, Dr. Dave Evans, sitzt wegen Mordes in der Todeszelle – auch das offenbar/offensichtlich ausweglos ...
Was die Geschichte reizvoll macht, dazu nun Stück für Stück mehr.

1. Hauptfiguren
**a) Dr. Dave Evans
**b) Mr. White
**c) Kate
2. Geschichte
3. Erzählstil
4. Zielgruppe
5. Pro & Contra
6. Fazit


1. Hauptfiguren
a) Dr. Dave Evans
Dave ist DIE zentrale Figur der Geschichte, er ist der Mann, den wir anfangs in der Todeszelle kennen lernen.
Er hat als Kind seine Eltern verloren, ist dann bei einer Medizinerfamilie aufgewachsen und hat sich selber hochgekämpft, zu einem der besten Neurochirurgen der Welt. Wenn es um Gehirn-Operationen geht, kann ihm kaum jemand etwas vormachen. Dave arbeitet an einer äußerst renommierten Privatklinik und ist dort gewissenhaft – egal ob sein Patient Millionär ist oder ein jugendlicher Gangster.
Klingt alles recht märchenhaft. Doch Dave hat gerade seine große Liebe verloren, seine Frau Rachel hat sich das Leben genommen. Später erfährt man, dass Sie unheilbar krank war und sich und ihrer Familie die harte und heftige Leidensphase bis zu ihrem Tod ersparen wollte.
Rachel und Dave haben eine gemeinsame Tochter, die Dave sehr liebt, für die er aber wegen seines Berufs eher wenig Zeit hat.

b) Mr White
White = weiß klingt erst einmal nach jemandem mit einer weißen Weste. Doch das trifft auf White so gar nicht zu. Er ist hochintelligent, hat es sich zur Aufgabe gemacht, heraus zu finden, wie die Menschen ticken, um sie nach seinem Willen zu manipiulieren. Darin ist er meisterlich – und absolut gewissenlos.

c) Kate
Kate ist die jüngere Schwester von Daves verstorbener Frau Rachel. Doch Kate war für Rachel immer die Beschützerin, die für die Schwester gekämpft hat, für sie alles möglich gemacht hat. Beschützen ist dann auch Kates Beruf geworden. Sie arbeitet für den Secret Service als Sicherheitsbeamtin an der Seite der amerikanischen First Lady.


2. Die Geschichte
Ich hatte es ja schon erwähnt: Gleich zu Beginn erfährt der Leser, dass Dave Evans im Todestrakt sitzt und einer ist, über den die Medien berichtet haben. Doch er selber sieht sich nur als Vater – und genau das, die Tatsache, dass er Vater von Julia ist, hat ihn an diesen Ort gebracht.
Nach und nach erfährt der Leser mehr: Im Krankenhaus hat Dave am Ende einer langen Schicht eine schwerwiegende Entscheidung getroffen. Gegen die Richtlinien der Klinik hat er Jamal, einen jugendlichen Straßengangster, der die hohen Kosten des Privatkrankenhauses nicht bezahlen konnte, operiert. Der Klinikleiter, das war klar, würde vor Wut schäumen. Und Dave hat Svetlana, das Kindermädchen seiner Tochter Julia, darüber informiert, dass er später nach Hause kommen würde.
Als Dave schließlich zu Hause ankommt, ist Julia verschwunden – Svetlana auch. Schließlich findet Dave die Leiche des Kindermädchens. Der Entführer will weder Geld noch sonstige Besitz, er will, dass Dave den US Präsidenten ermordet. Der Neurochirurg soll den mächtigsten Mann der USA operieren und dabei absichtlich einen Fehler begehen ... Falls er das nicht tut, so macht der der Entführer, Mr. White, Dave mehr als deutlich, soll Julia sterben. Auf seinem iPad zeigt White Dave das Erdloch, in dem er das Kind gefangen hält.
Dave hat keine Chance – auch nicht die, die Polizei einzuschalten. Denn White hat Daves Haus verwanzt, das Handy des Arztes angezapft. So kann er jeden Schritt überwachen und Dave jederzeit per SMS neue Drohungen schicken.
Trotzdem schafft es Dave, seine Schwägerin Kate zu informieren. Als Secret Service Agentin und als persönlicher Bodyguard der Frau des Präsidenten sitzt Kate in einer Zwickmühle. Vom Job her müsste sie ihren Chef beim Secret Service, müsste sie die First Lady warnen, dass Dave möglicherweise den Präsidenten umbringt. Als Tante von Julia, als Frau, die sich auf den ersten Blick in Dave verliebt hat, fühlt sie sich verpflichtet, ihm und ihrer Nichte zu helfen.
White ist jedoch clever, überlegen, kaltblütig, zu jedem Schritt bereit. Vor Daves Augen tötet er eine Kellnerin, zeigt Dave, wie er Julia mit ausgehungerten Ratten quält.
Als der weltbeste Neurochirurg, Daves ehemaliger Chef, und Erzfeind an Stelle von Dave die Operation vornehmen soll, muss Dave sich eine Waffe besorgen, diesen Arzt außer Gefecht setzen, um wieder den Zuschlag für die OP des Präsidenten zu bekommen.
Gleichzeitig versucht Kate, Mr. White auf die Spur zu kommen und Julia zu finden. Und dabei wird sie auf weitere schwere Gewissensprüfungen stoßen ....


3. Erzählweise
Zu den vielen interessanten Momenten dieses Romans zählt die Art und Weise, wie der Autor seine Geschichte erzählt. Einen Großteil bekommt der Leser aus der (Ich-Erzähler-) Perspektive von Dave geschildert. Dadurch ist man dicht mit dieser (Haupt-)Figur verbunden, empfindet Sympathie mit dem Arzt.
Dann jedoch wechselt der Autor auch in die dritte Person – an die Seite von Kate beispielsweise, deren Erleben und Gefühle er aus Daves Sicht nicht beschreiben könnte und zu Mr. White, der kühl kalkulierend das Geschehen inszeniert und Dave wie eine Marionette nach seinen Wünschen tanzen lassen will.
Das Zusammenspiel aus Ich-Erzähler-Perspektive und Dritter-Person bei Kate und White funktioniert gut.
Nicht ganz so gut finde ich persönlich die vielen Rückblenden. Der Autor will und muss einige Hintergründe klar machen. Allerdings geht er da nicht ganz chronologisch vor, sondern gräbt hier und da ein Puzzlestück, ein Teil aus der Vergangenheit seiner Figuren, aus. So erfährt der Leser z.B. über das enge Verhältnis der Schwestern Kate und Rachel, der Tatsache, dass Kate Dave als erste kennen gelernt hat, sich ihn verliebte, dann Dave und Rachel einander vorstellte, die sich beide auch ineinander verliebten. (Übrigens: Nein, es gibt kein kitischiges Happy-End für Kate und Dave). Oder man lernt etwas mehr über White, der sich nach und nach selber Fähigkeiten aneignete, Leute zu analysieren, zu durchschauen und zu manipulieren.


4. Zielgruppe
Zerrissen ist ein Roman für Leute, die spannende Geschichten lieben. Dabei würde ich ihn weder eher als Frauen- noch als Männer-Roman bezeichnen – denn es gibt sowohl männliche als auch weibliche Hauptfiguren. Die Spannung ist vor allem eine auf psychologischer Ebene, es gibt keine brutalen Morde a la Tess Gerritsen oder Karen Slaughter. Tote gibt es allerdings doch.
Altersmäßig würde ich ebenfalls keine konkreten Einschränkungen machen – die Geschichte kann sicher junge wie ältere Krimi-Thriller-Fans in ihren Bann ziehen.

5. Pro & Contra
Pro
- starke Figuren
- gute Geschichte
- überraschende Wendungen
- Sogwirkung
Contra
- kleine Längen im Mittelteil

6. Fazit:
Zerrissen ist ein spannender, ein sehr guter Krimi-Thriller. Er ist modern (Smartphone und Tablet spielen eine nicht unwichtige Rolle), er spielt stark auf der psychologischen Ebene.
Wer die Leseprobe gelesen hatte, ahnt nur ein Stück vom Ende. Der Ausgang bringt dann doch noch einige interessante Wendungen mit sich. Meine persönliche Macke ist, dass ich meist nach 100 Seiten auch die letzten 10 schon einmal überfliege, um zu wissen, wohin die Reise geht. Trotzdem wurde auch ich in ein paar Punkten überrascht.
Starke Figuren, eine interessante Erzählweise, unerwartete Wendungen, all das sind Zutaten, die Sog entwickeln und zu einer wirklich guten, lesenswerten Geschichte beitragen. Einziges kleines Manko sind Längen im Mittelteil. Doch die zählen für mich nicht wirklich gewichtig.
Ich kann Zerrissen voll und ganz empfehlen. Fünf Sterne!