Die Verbrechen der Vergangenheit

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annajo Avatar

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Judith Kepler ist Cleanerin. Sie säubert die Wohnungen von Toten, damit sie neu vermietet werden können. Hin und wieder ist auch ein Tatort dabei. So wie dieses Mal. Doch warum hatte die Tote ihre Heimakte? Was verband sie mit Judith? Schnell gerät Judith selbst ins Visier. Und zwar ins Visier der Geheimdienste. Doch Judith lässt sich nicht einschüchtern und erweist sich als starke und intelligente junge Frau, die den BND mächtig auf Trab zu halten weiß. Sie beginnt selbst, ihre Vergangenheit zu erforschen und ihrer eigenen Geschichte auf den Grund zu kommen.

Wer bei "Zeugin der Toten" auf einen rasanten Thriller oder Krimi hofft, ist hier etwas fehl am Platz. Herrmanns Buch zeichnet sich nicht durch Berge von Leichen oder atemlose Spannung aus, sondern kommt eher einem Spionageroman nah. Herrmann widmet sich in ihren Büchern des öfteren eher ungewöhnlichen und vernachlässigten Aspekten der jüngeren deutschen Geschichte (wie beispielsweise auch in "Das Kindermädchen"). Dieses Mal rollt sie die DDR-Vergangenheit auf, lässt Judith ihre traumatischen Erlebnisse in einem DDR-Kinderheim Revue passieren und zeichnet die verworrenen Machenschaften der westlichen Geheimdienste und der Stasi nach. Und dabei entdeckt die Protagonistin erschütternde Dinge, die ihr eigenes Leben für immer verändert haben.
Das Buch beginnt spannend und geheimnisvoll in einem Kinderheim im Sassnitz der 1980er Jahre. Ein Kind wird als ein anderes ausgegeben. Danach spielt das Buch in der Gegenwart und in Judiths Leben, deren Zusammenhang zum Auftakt erst noch hergestellt werden muss. Nur wenige Male wechselt das Geschehen zurück in die 1980er Jahre und dies war eher verwirrend als spannend. Meiner Meinung nach beinhalteten diese Szenen nichts, was nicht auch hätte von einem der Charaktere nacherzählt werden können. Zudem muss man ein gutes Verständnis für die Machenschaften von Geheimdiensten haben. Mir hat sich vieles erst nach expliziter Erklärung erschlossen. Gleichzeitig zeigt dies aber, dass die Autorin gut recherchiert hat und gut in die Materie eingestiegen ist.
Positiv fiel mir auf, dass die Geheimdienste keine Spur von Leichen hinter sich herziehen, wie in anderen Büchern üblich. Auch wird Judiths Beruf detailliert beschrieben. Sie ist zwar eine starke Persönlichkeit, aber nicht unverwundbar und sie hat eine sehr bewegte Vergangenheit. Ihr Scheitern auf persönlicher Ebene macht sie sympathisch und erregt gleichzeitig Mitleid. Die Autorin hat das Lokalkolorit gut eingefangen und vor allem die Schauplätze in Ostdeutschland authentisch beschrieben. Die Trostlosigkeit so mancher Ruine wurde richtiggehend greifbar. Auch die Trostlosigkeit des Berliner Bezirks Marzahn war gut getroffen.

Alles in allem war dies ein guter Roman über die Geheimdienste und die Machenschaften der Stasi und darüber, wie stark ideologisch verklärt so mancher Beteiligter war. Das Buch wirkte sachlich, bodenständig, gut fundiert und unaufgeregt. Die Protagonistin wirkte überwiegend realistisch und sympathisch. Jedoch ist dieses Buch eher etwas für Fans von "leisen Tönen" und alltagsnaher Handlung.