Schatten der Vergangenheit

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
theresia626 Avatar

Von

1985 beobachtet Martha Jonas, eine Erzieherin in einem Kinder- und Erziehungsheim auf der Insel Rügen, wie eines Nachts ein kleines Mädchen von der Staatssicherheit gebracht wird und dafür Judith Kepler kurz darauf spurlos für immer verschwindet. Aus dem Neuzugang „Christel Sonnenberg“ wird die Waise Judith Kepler und Martha, die heimlich Westsender hört, wird unter Druck gesetzt und nur zu ihrem eigenen Wohlergehen stimmt sie dem Identitätstausch zu. 10 Jahre lebt Judith in dem Kinderheim „Juri Gagarin“, reißt nach der Wende aus und wird heroinabhängig, später schafft sie den Entzug.  

Jetzt, im Jahre 2010, ist Judith mit knapp 33 Jahren als Tatortreinigerin bei der  Fa. Dombrowski Facility Management angestellt. Wenn alle den Tatort verlassen haben beginnt sie mit ihrer Arbeit. Eine Arbeit, die sehr viel Härte verlangt und zu der nicht viele imstande sind, sie „entwest“ Wohnungen von Menschen, deren Tod lange Zeit unbemerkt geblieben ist und richtet diese so her, daß sie wieder vermietet werden können. „Entsetzliches in Erträgliches zu verwandeln“, (S. 85) das war ihr Job.

Dombrowski weiß die Arbeit von Judith zu schätzen und schickt sie an einem heißen Freitagabend nach Berlin-Marzahn. Eine Frau wurde ermordet und damit der Auftrag bei der Firma bleibt muß sie den Job unbedingt erledigen. Bei der Toten handelt es sich um die Schwedin Christina Borg und als der Postbote ins Haus kommt hält er Judith für berechtigt, einen großen Umschlag in Empfang zu nehmen. Darin ist ihre Heimakte enthalten, die eigentlich als verschollen galt. Wieso kam die ihr unbekannte Tote in den Besitz ihrer Akte? Durch eine Notiz der Ermordeten in einer Fernsehzeitung stößt sie auf den Namen des ehemaligen BND-Agenten Quirin Kaiserley. Der sollte, so erzählt er Judith später, vor 25 Jahren Überläufern zur Flucht nach Schweden verhelfen, doch diese Mission wurde durch einen Maulwurf vereitelt. Christina Borg war im Besitz brisanter Informationen und wollte diese Kaiserley übergeben, doch dazu ist es nicht mehr gekommen. Auf der Suche nach ihrer Vergangenheit gerät Judith in die dunkle Welt der Geheimdienste und plötzlich sind ihr alle auf den Fersen weil sie glauben, daß sie etwas bei der toten Christina Borg entdeckt hat, das eigentlich ihnen gehört.

"Zeugin der Toten“ von Elisabeth Herrmann ist ein spannender Kriminalroman mit Elementen eines Spionagethrillers. Die Autorin beschäftigt sich sehr tiefgründig und glaubwürdig mit einem sehr ernsten Thema deutscher Vergangenheit, das sie sehr gut recherchiert und mit einer außergewöhnlichen Protagonistin zu einem lesenswerten Roman verarbeitet hat. In mehreren Rückblenden läßt die Autorin gekonnt Vergangenes aus dem Jahr 1985 einfließen und hält die Spannung dadurch auf hohem Niveau. Wer sich für die dunkle Geschichte der Geheimdienste, insbesondere der Staatssicherheit und ihre Machenschaften interessiert, der ist bei diesem Roman sehr gut aufgehoben. Judiths Schicksal ist leider kein Einzelschicksal. Es geht um Agenten und Doppelagenten, Identitätsdiebstahl, Verrat und kaltblütigen Mord. Ich habe den Roman gerne gelesen.