Trifft mitten ins Herz

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Ich bin auf meinen Reisen zu all den Orten in der Arktis und Antarktis, die hier auch im Buch beschrieben werden, vielen Seeschwalben begegnet, weshalb mich schon das Cover tief bewegt. Mir vorzustellen, daß dies eine der letzten Seeschwalben sein sollte, bewegt mich zutiefst. Noch gibt es sie und der Roman von Charlotte McConaghy ist auf eine nicht bestimmte entfernt liegende Zukunft ausgelegt, in der die meisten Tiergattungen bereits ausgestorben sind. Die Ornithologin Franny Lynch erkennt, daß auch die Seeschwalben verschwinden werden und versieht einige mit einem Peilsender, um sie auf ihrem letzten Flug in die Antarktis zu begleiten. Hierzu heuert sie mit viel Überredungskunst auf einem der letzten Fischerboote, der Saghani von Kapitän Ennis Malachai, an nicht wissend, was sie auf dieser Fahrt erwartet. Der Kapitän will auf seiner letzten Reise noch einmal den "goldenen Fang" in den bereits weitgehend überfischten Meeren machen. Die Seeschwalben werden uns den Weg zeigen, verspricht Franny dem Kapitän, weil sie auf ihrem Weg von Norden nach Süden, von der Arktis über den Nordatlantik, die Küste Amerikas entlang bis in die Antarktis und bis in die eisigen Gewässer des Wedell-Meeres unterwegs die Fischschwärme aufspüren werden.

Franny, von der Crew des Schiffes zunächst ablehnend behandelt, muß lernen sich mit dem rauhen Leben an Bord zurechtzufinden und auch schwere Arbeiten zu verrichten. Nach und nach haucht die Autorin ihren Protagonisten Leben und eine Geschichte ein. Sie alle arbeiten schon lange miteinander auf der Saghani und sind trotz aller Widrigkeiten eine eingeschworene Gemeinschaft.

Das besondere Augenmerk der Autorin liegt auf ihrer Protagonistin Franny. In wiederkehrenden Rückblicken lernt der Leser eine total verstörte und in sich widersprüchliche Persönlichkeit kennen, die durch traumatische Erlebnisse in ihrem Leben geprägt ist. In den Rückblenden werden kurze Ausschnitte aus Frannys Leben beschrieben. Wahrheiten werden zurückgehalten, so daß der Leser zwar ahnt, daß schreckliche Erlebnisse Frannys Leben gezeichnet haben, aber eine Aufklärung erhält man erst später. Das macht das Buch so ungeheuer spannend, weil dem Leser viel Gelegenheit für eigene Gedankengänge bleibt.

Durch dieses Buch sind mir meine Reisen in die Arktis und die Antarktis wieder total gegenwärtig geworden. Ich habe gesehen, wie die Gletscher in den letzten Jahren zurückgegangen sind, wie das Eis schmilzt und wie die Lebensräume der dort lebenden Tiere eingeschränkt werden. Ich habe Eisbären, Robben, Wale, Pinguine und vor allem eine unbeschreibliche Anzahl an Seevögeln gesehen. Damit die Geschichte der Autorin nur eine nie eintreffende Zukunftsvision bleibt, sind wir alle aufgerufen, unser Leben und Verhalten so zu ändern, daß auch die Tiere eine Überlebenschance haben.

Das Buch ist ein unglaublich starker Debütroman von Charlotte McConaghy, der zum Nach- und Umdenken anregt und viele Leser erreichen sollte. Deshalb meine uneingeschränkte Leseempfehlung.