Eine männliche Vergangenheit für eine männliche Zukunft

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ismaela Avatar

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Jan Martin Ogiermanns Zukunftsroman ist, anders als ich erwartet hatte, kein reines Sammelsurium an obskuren, weitsichtigen oder völlig abwegigen Zukunftsvorstellungen und –visionen, die sich dann bewahrheiteten oder eben nicht – sondern eher ein Geschichtsabriss vor allem europäischer Länder im Wandel der Zeit.

Der Autor nutzt die Beschreibung von heidnischen „Seherritualen“ der Antike, mit denen die Zukunft vorausgesagt werden sollte, um von diesen über die Astrologie und Astronomie, über Deutungen und Orakel aus der Bibel und anderen Schriften überzuleiten, und schlussendlich – in der Neuzeit – Phantasien aus dem kapitalistischen, sozialistischen oder nationalsozialistischen Bereich zu beschreiben, die allesamt die Menschheit geprägt und geformt haben. Zusätzlich dazu gibt es immer wieder Bezüge zu Romanen und Abhandlungen, die eine bestimmte Zukunftsvorstellung mal mehr, mal weniger ernst beschreiben sollten. Diese gehen von antiken Schrifttafeln über Abhandlungen von Revolutionsvorstellungen (französische Revolution) bis hin zu moderneren Romanen etwa von Jules Verne oder George Orwell.

Ogiermann hat sich mit der Recherche zu seinem Buch und der Aufarbeitung sicherlich eine Menge Arbeit gemacht, und die Gliederung von „Alt zu Neu“ ist ihm gut gelungen. Es gibt aber zwei Punkte, die mich an diesem Buch sehr stören.
Zum einen ist der Schreibstil sehr geschraubt und hochgestochen. Man muss sich schon sehr konzentrieren, um zu verstehen, was der Autor einem sagen will. Auch vermischt er sehr oft Visionen von Schriftstellern und/oder Staatsmännern mit real existierendem Weltbild. Ich habe mich oft gefragt, war das nun tatsächlich so, oder fantasiert das gerade irgendjemand?
Zum anderen definiert der Autor den Verlauf von der Vergangenheit bis in die Zukunft zum allergrößten Teil über kriegerische Auseinandersetzungen und daraus resultierende Unterdrückung und Terror. Ohne Frage wäre die Welt eine andere, hätte es so etwas nicht oder in einer anderen Ausprägung gegeben, aber um eine Zukunft zu definieren, spielen noch viele weitere Themen eine Rolle. Dadurch, dass der Autor die gewalttätige, kriegerische Sicht herausarbeitet, spielen in seinem Buch dann auch hauptsächlich Männer eine Rolle, während Frauen allenfalls am Rande erwähnt werden. So werden z. B. Seher und Orakeldeuter als wichtige Männer der Herrscher ausführlich beschrieben, während ein kleiner Nebensatz darauf hinweist, dass Frauen, die genau das Gleiche praktizierten, als Hexen gefoltert und verbrannt wurden. Es gibt unter den zahlreichen Abbildungen in dem Buch genau zwei weibliche (Johanna von Orléans und Ellen Key); namentlich genannte Frauen im Text kann man an einer (!) Hand abzählen. Der Autor schafft es sogar, Veränderungen, die immense Auswirkungen auf die Zukunft hatten, wie z. B. die Einführung des Frauenwahlrechts und andere „… bürgerliche(n) Frauen- und [anderen] emanzipatorische(n) Bewegungen…“ (S. 147) erneut nur in einem Nebensatz abzukanzeln. Dementsprechend findet sich im Literaturanhang kein einziges Werk einer Autorin. Das ist natürlich eine enttäuschende Leistung, denn ich als Leserin habe mich während der ganzen Zeit überhaupt nicht angesprochen gefühlt. Schade.