Eine Erzählung, die Märchen neu denkt, Trost schenkt und Mut macht

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Jenny Hill verlässt ihren Mann. Endlich. Jahrelang war sie Ehefrau, Mutter, die brave, die schweigende – bis der Moment kam, an dem selbst eine liegengelassene Zahnbürste zu viel war. Und plötzlich steht sie da: allein, ohne alte Rolle, aber mit einer leisen Ahnung von Freiheit.

Minna Rytisalo erzählt das nicht linear, sondern vielschichtig: Da sind Jennys Erinnerungen, ihre Briefe an Brigitte Macron (allein dieser Kunstgriff verdient Applaus) und die Stimmen der Ajattaras – weibliche Märchenfiguren, die ihre eigenen Geschichten zurückfordern. Rapunzel, Schneewittchen, Dornröschen und die anderen sprechen nicht mit süßer Sanftheit, sondern mit Klarheit. Sie sind zugleich Begleiterinnen und Spiegel, sie erzählen von den Verletzungen, die ihnen selbst zugefügt wurden, und zeigen Jenny, dass ein anderes Leben möglich ist. Kein Märchenprinzip, kein fremdes Drehbuch soll ihr Schicksal bestimmen. Stattdessen öffnet sich ein Resonanzraum, in dem weibliche Erfahrung weitergetragen wird, über Generationen hinweg, voller Verbundenheit und ohne Scheu vor der Wahrheit.

Das Ganze ist poetisch und politisch zugleich. Ein Roman über das Älterwerden als Frau, über die Jahre des Sich-Fügens, über das Schweigen, das so viele kennen – und über den stillen Bruch, der alles verändert. Über den Mut, sich neu zu erfinden, nicht als radikale Geste, sondern Schritt für Schritt. Über die Kraft, sich selbst den eigenen Namen zurückzugeben. Rytisalo zeigt dabei, wie Erinnerung, Fantasie und literarische Tradition ineinanderfließen können, ohne ins Märchenhafte zu fliehen. Die Ajattaras sind keine Fluchtfiguren, sondern Stimmen, die Jenny erden, ermutigen, herausfordern.Ich habe ein Buch erwartet, das eine Midlife-Crisis literarisch auswalzt, und bekam stattdessen eine Erzählung, die Märchen neu denkt, Trost schenkt und Mut macht.

Es ist ein Text, der wütend sein darf, aber nie zerstörerisch, der behutsam erzählt und dennoch unerschrocken benennt, was Frauen immer noch zugemutet wird. Ein Buch, das dir leise ins Ohr flüstert, dass es reicht – und dich dann festhält, bis du selbst glauben kannst, dass ein neues Leben möglich ist.

Unbedingt lesen.