Souther English Vibes

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rockchickdeluxe Avatar

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Vor der traumhaft schönen Kulisse der Isle of White steht eine etwas schrottige, leicht baufällige Villa. Der Putz blättert ab, die Fenster müssen erneuert werden. Das Haus atmet Geschichte, Familiengeschichte. In Zeitsprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit erzählt der Roman die Story der Garnett Girls, der Mutter Margo und ihrer drei Töchter Rachel, Imogen und Sasha.

Alle drei Töchter sind unglücklich, und jede versucht auf ihre Weise, dieses Unglück zu kompensieren. Rachel, die die Sandcove Villa bewohnt, stürzt sich in Arbeit und hat akuten Kontrollzwang. Die mittlere Tocher, Imogen, hat das ständige Bedürfnis, ihrer übergriffig Mutter zu gefallen und ist kurz davor, eine Ehe einzugehen, die sie eigentlich gar nicht möchte. Obwohl sie eine talentierte Autorin ist, verfällt sie in passive Hilflosigkeit und lässt die Dinge bis zur Selbstaufgabe geschehen. Sasha, die Jüngste, ist furchtbar zornig. Aus jeder ihrer Poren spritzt die Wut. Auf ihren eifersüchtigen Ehemann, auf ihre Mutter, und auf ihren Vater, der im Roman zunächst eine seltsame Lehrstelle bleibt. Wir wissen nur, dass er verschwand, als die Mädchen klein waren und ein Alkoholproblem hatte, doch dann bleibt er erst einmal ein Mysterium.

Es ist Sommer, der Alkohol fließt in Strömen. Margo zwingt alle, die um die Villa kreisen wie ein Schwarm um einen Bienenstock, ab 18 Uhr zu trinken. Die Feste sind legendär, die Kulisse atemberaubend. Ein Drama jagt das nächste. Und so verfolgen wir die Garnett Girls auf ihrem Weg und bei dem Versuch, mit dem jeweils eigenen Trauma fertig zu werden. Es geht um Generationenkonflikte, um das, was zwischen Frauen weitergegeben wird, um verborgene Ängste, Sehnsüchte und die dauerhafte Dynamik zwischen den Schwestern. Interessante Figuren laufen als Statisten mit durchs Bild und sind dabei die eigentlichen Sympathieträger. Denn viel Identifikationspotenzial bieten die drei Schwestern und ihre Mutter wirklich nicht.

Hier liegt die ganz große Kunst des Romans. Es fällt schwer, enge Beziehung zu den Protagonistinnen aufzubauen, und doch treten sie als unglaublich plastische Charaktere aus dem Text hervor. Die Sympathischen sind die Randfiguren. Alice, die Schwester von Margo oder Gabriel, Ehemann von Rachel. Wie durch eine Filmkulisse schwebt die verkommene Gesellschaft und entführt uns in eine herrliche sommerliche Szenerie, englisch ironisch, voller schlagfertiger Dialoge und immer mit einer Prise Traurigkeit.

Die Sprache ist leicht und schnell, derbe und voller Lokalkolorit, sogar in der deutschen Version. Denn wer einmal in der Südküste Englands gelebt hat, der hört selbst durch Übersetzung den Süd englischen Slang. Kluge Sätze folgen auf liederliche Kommentare, philosophische Betrachtungen konterkarieren erbitterte Streits. Und über allem schwebt das große Familiengeheimnis, dass die Familie vollends zu zerbrechen droht.

Ich mochte diesen Roman sehr. Er ist hart und nachdenklich, sommerlich wild und erzählt die Geschichte von Menschen, die ihr Päckchen zu tragen haben, sich gegenseitig auf die Nerven gehen und beflügeln. Er erzählt von Schwestern, von Familie, großen Emotionen, von Freundschaft, Loyalität und von dem Umgang mit dem, was das Leben auf uns wirft.

Für mich gibt es ein paar Punkte Abzug für das Ende, es scheint fast, als hätte die Autorin händeringend nach einem Abschluss gesucht. Das schränkt für mich das Leseerlebnis aber keineswegs ein, es war ein großes Vergnügen.

Danke an @hamburger.lesemaus für den unterhaltsamen Buddyread. Es hat wieder einmal viel Spaß gemacht. Und danke an Mona Lang für die Leserunde auf Instagram, es war total interessant zu sehen, wie alle anderen Bookies den Roman rezipieren. Wie gut, dass es euch da draußen gibt!