ein erschreckend düsterer aber realistischer historischer Krimi aus Stockholm

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mrs-lucky Avatar

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Der Roman „1793“ von Niklas Natt och Dag fällt ins Auge durch sein schlichtes und doch prägnantes Cover. In Schweden ein Erfolgsroman wird er vom Piper Verlag stark beworben und hat bei mir als Liebhaber sowohl skandinavischer Krimis als auch historischer Romane Neugier geweckt. Die Beschreibungen als düsterer und sehr brutaler Roman haben mich abgeschreckt eine Weile zögern lassen, inzwischen bin ich froh, der Geschichte doch eine Chance gegeben zu haben.
Dieser Roman lässt sich schwer in eine Schublade stecken; für mich ist er in erster Linie ein historischer Roman mit einer Kriminalgeschichte als Rahmenhandlung, anhand derer die zu dieser Zeit herrschenden Lebensbedingungen und politischen Entwicklungen im Stockholm des Jahres 1973 geschildert werden. Es entsteht ein sehr düsteres Bild, viele Menschen leben in Armut unter sehr schwierigen Bedingungen, Unrat verdreckt die Stadtviertel, Krankheiten breiten sich aus, daneben lebt der Adel im Überfluss und herrscht mit Willkür über die einfacheren Menschen, die sich nicht wehren können.
Cecil Winge ist ein für diese Zeit ungewöhnlicher Jurist, der den Angeklagten Gelegenheit geben möchte, sich zu erklären und zu verteidigen. Als im sogenannten „Fatburen“, einem verdreckten See in der Stockholmer Innenstadt, der Mitte des 19. Jahrhunderts zugeschüttet wurde, ein grausam zugerichteter Leichnam gefunden wird, bekommt Winge den Auftrag, den Fall aufzuklären. Die Zeit ist knapp zum einen aufgrund drohender Machtverschiebungen in der Stadt aber auch aufgrund seiner fortschreitenden TBC Erkrankung. Unterstützung bekommt Winge durch den ehemaligen Soldaten Mickel Cardell, einem Einzelgänger, dem die Praktiken der Stadtwache ein Dorn im Auge sind und dem das Schicksal des Toten keine Ruhe lässt, nachdem er zur Bergung des Leichnams hinzugerufen wurde.
Das Buch ist in 4 Teile untergliedert, im ersten und vierten stehen Cecil Winge und Mickel Cardell mit der Aufklärung des Falls um den Toten im Fatburen im Mittelpunkt. Der 2.Teil stellt einen Bruch dar mit einem überraschenden Rückblick, einer anderen Erzählperspektive und einer neuen Hauptperson. In beiden Mittelteilen stehen die historischen Umstände im Mittelpunkt, die Missverhältnisse unter den verschiedenen Gesellschaftsschichten. Nach und nach erschließen sich die Zusammenhänge und die Bedeutung der scheinbar zufällig auftretenden Figuren für die Entwicklung des Kriminalfalls.
Mich hat der Roman nach meinen anfänglichen Vorbehalten positiv überrascht und sowohl sprachlich als auch inhaltlich begeistert. Man spürt dem Roman an, dass dem Autor die Geschichte Stockholms und besonders dieser Zeit sehr am Herzen liegt, in der zum ersten Mal von Teilen der Bevölkerung die bis dahin übliche Vererbung von Macht infrage zu stellen, und in der der Grundstein für unsere heutige Demokratie gelegt wurde. Der Roman wirkt sehr gut recherchiert, die Darstellungen sind sehr detailliert, sehr bildhaft, es entsteht ein deutliches wenngleich erschreckend düsteres Bild dieser Stadt, die heute so viel leuchtender und freundlicher erscheint. Wenn ich im Sommer ein paar Tage in Stockholm verbringe, werde ich einige Straßen und Viertel mit ganz anderen Augen betrachten.
Ich habe mich gefreut zu lesen, dass Niklas Natt och Dag bereits an einem weiteren historischen Roman arbeitet, der im Folgejahr 1794 angesiedelt sein soll.