Spannend, rührend und sehr menschlich

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wortknaeuel Avatar

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Stockholm im Jahr 1793. Europa befindet sich im Umbruch, geprägt von der französischen Revolution, die sich für Bürgerrechte und gegen die absolutistische Monarchie richtet. Erst ein Jahr zuvor fiel der schwedische König Gustav III, der sich leichtsinnigerweise nur vor revolutionären Tendenzen aus der Bevölkerung fürchtete, einem Attentat durch den unzufriedenen Adel zum Opfer. Auch das Stadtbild verändert sich: nachdem ganze Stadtteile aus Holzhäusern immer wieder von Feuersbrünsten zunichte gemacht werden, entstehen immer mehr Steinhäuser, deren hohe Mieten allerdings von vielen nicht mehr getragen werden können und das Elend der Armen wächst. Dicht gedrängt leben die Menschen inmitten des Unrats einer Großstadt ohne Kanalisation, gebeutelt von immer wiederkehrenden Epidemien, eiskalten Wintern und der Willkür der Stärkeren. Mit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung ist diese Stadt der Inseln und Brücken aber auch ein Schmelztiegel unterschiedlichster sozialer Schichten, in der sich gepuderte Perücken-Träger mit Armen und Krüppeln die Gassen und Wirtshäuser teilen.

Das ist die Kulisse für einen ungewöhnlichen historischen Krimi, der in drei zeitlich getrennten Handlungssträngen aus unterschiedlichen Perspektiven das Jahr 1793 in Stockholm lebendig macht. Die Handlung beginnt im Winter mit dem Fund einer grausig entstellten Leiche. Dem Opfer wurden mit chirurgischer Präzision nacheinander alle vier Gliedmaße, sowie Zunge und Augen entfernt. Der mit diesem Mordfall betraute Jurist Cecil Winge ist selbst dem Tode näher als dem Leben, denn er leidet an der Tuberkulose. Mit dem einarmigen Kriegsveteran Mickel Cardell als Gehilfen ergibt sich ein ähnlich schräges wie geniales Ermittlerduo wie Scherlock Holmes und Dr. Watson. In Zeitsprüngen zurück zum Sommer und Frühling desselben Jahres bekommt der Leser auf eindrucksvolle Weise einen Einblick in das Leben jener Zeit aus der Perspektiv eines jungen Feldscherlehrlings und einer Obstverkäuferin.

Der Autor Niklas Natt och Dag vermag mit gekonnter Feder ein realisitisches Bild von Stockholm zu zeichnen. Selbst die (für mich als Schweden-Neuling) vielen sperrigen Ortsbezeichnungen konnten mich nicht davon abhalten, schnell eine Nähe zu den Protagonisten aufzubauen, mit ihnen den Gestank, den Trubel und die Absurditäten dieser Zeit zu erleben und mit ihnen mit zu fiebern, während sie vom Schicksal gebeutelt um ihr Leben kämpfen. Das Buch war schnell verschlungen, doch in meinen Gedanken wird es mich noch eine Weile begleiten.