Absolutes Herzensbuch!

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buecher.berge Avatar

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»Ich bin traurig und glücklich und weiß nicht, ob ich mehr traurig als glücklich oder mehr glücklich als traurig bin. Aber das kann ich auch nicht wissen, weil die beiden Gefühle sich in einem schönen, schmerzhaften und hochprozentigen Cocktail mischen und meinen ganzen Körper ausfüllen.«

Tilda ist Anfang 20 und lebt noch immer in der bedeutungslosen Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist und die austauschbar ist mit jeder anderen bedeutungslosen, farblosen Kleinstadt dieser Welt. Ihre Freund*innen sind schon lange weg, verteilt auf die Großstädte dieser Welt. Sie hat eine Begabung und Liebe für die Mathematik, studiert in der nächstgelegenen Uni, verbringt viel Zeit beim Pendeln, immer vertieft in ein Buch. Ansonsten arbeitet sie an einer Supermarktkasse. Die wenige Freizeit, die Tilda bleibt, verbringt sie an ihrem Lieblingsort, dem Freibad, in dem sie ihre 22 Bahnen schwimmt. Und Tilda kümmert sich um Ida, ihre 10-jährige Schwester. Manchmal auch um die gemeinsame Mutter, die durch ihre Alkoholsucht regelmäßige Tiefs erlebt und meist nicht in der Lage ist, den beiden eine Mutter zu sein. Das ist Tildas Leben, im wohl traurigsten Haus der Fröhlichstraße. Platz für Träume, Hoffnungen, Zukunftswünsche erlaubt sich Tilda nicht. Ihr Leben findet im Hier und Jetzt statt, wird bestimmt von Verantwortung und Verpflichtung. Als Tilda eine Promotionsstelle im entfernten Berlin angeboten wird, erhascht sie zum ersten Mal einen Blick auf das, was möglich wäre. Auf Freiheit. Doch was soll aus Ida werden, die sie zurücklassen müsste bei der erziehungsunfähigen und kranken Mutter? Und dann steht im Freibad plötzlich Viktor vor Tilda. Viktor, der wie sie 22 Bahnen schwimmt. Viktor, der große Bruder ihres Jugendfreundes Ivan. Viktor, der egal wie sehr sich Tilda dagegen wehrt, ihr Leben gewaltig aus der Bahn wirft.

»Ich trete neben ihn, er dreht sich zu mir, schaut mir in die Augen. Da ist eine Frage in seinem Gesicht, ich weiß aber nicht, welche. Ich weiß, welche, aber ich weiß keine Antwort.«

Eins gleich vorweg: »22 Bahnen« hat auch mich aus meiner Bahn geworfen. Ich bin verschwunden in Tildas Geschichte, ihrem Leben. Hab mich wiedergefunden in diesem modernen, direkten, leisen und doch so gefühlvollen Erzählstil. Die Worte haben zu mir gesprochen und ich hab sie in mein Herz gelassen. »22 Bahnen« ist eins der besten Bücher, die ich dieses Jahr bisher lesen durfte. Manchmal braucht es nicht viel, keine große Handlung, einfach nur das Leben. Der Alltag, der mehr als genug Höhen und Tiefen, Altlast und Chancen zu bieten hat.

»22 Bahnen« ist eine eindrucksvolle, mitreißende Geschichte über das Erwachsenwerden, über Schuldgefühle, Festhalten und Loslassen, über bedingungslosen Zusammenhalt und Familie. Über Verpflichtungen und Freiheit, über die großen Schmerzen und die unzähligen kleinen Freuden des Alltags. Über zweite, dritte, vierte Chancen, über Neuanfänge und Abschiede, über Abhängigkeiten, Aufopferung und Selbstbestimmung. Und so unwahrscheinlich es klingt, am Ende ist »22 Bahnen« ein Buch über die Liebe. Über die Liebe zweier Schwestern zueinander, über die Kompliziertheit einer Liebe zu einer Mutter, die keine ist. Es ist ein Buch über die Liebe, die ihren Weg findet, ob man nun möchte oder nicht, die sich leise, fordernd ihren Weg bahnt. Und es ist ein Buch über die Liebe zum Leben, egal wie viele Steine im Weg liegen, es geht weiter, will gelebt werden. »22 Bahnen« ist die Momentaufnahme einer jungen Frau, ihr Scheitern, ihre Erfolge, ihr Leid und ihre Freude, ihre Verluste, Herausforderungen, Ängste, Wünsche, Sehnsüchte. »22 Bahnen« ist das Leben und ich will mehr davon.

»Und es sind Momente wie diese, in denen ich begreife, dass ich gar nichts bereue und auch mit niemandem tauschen will.«