Fängt stark an, schwächelt dann aber leider

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franziskalex Avatar

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Nahezu überall begegnete mir in den letzten Monaten dieser Roman und die Meinungen fielen durchweg positiv aus. Ein hübsches, wie selbst gemaltes Cover und da 22 meine Lieblingszahl ist, catchte mich auch der Titel direkt.

Dem Klappentext nach konnte ich mich mit der Hauptfigur Tilda identifizieren: eine junge Frau, die Studium, Nebenjob, Familienleben und - scheinbar im Laufe der Geschichte aufflammende - Liebe unter einen Hut bringen muss. Das Thema Alkoholismus in der Familie, das mich persönlich nicht unberührt lässt, machte mich neugierig, wenn ich mir auch bewusst war, dass es sehr schwerer Stoff ist und somit auch die Umsetzung in einem (mit knapp 200 Seiten ja doch eher dünnen) Roman keine einfache Aufgabe ist.
Leider hatte ich beim Lesen auch zunehmend genau dieses Gefühl: die Autorin hat sich womöglich zu viel Stoff für einen Roman vorgenommen, wodurch er an einigen Stellen dünn und auf mich leider unglaubwürdig wirkte.

Die Geschichte zwischen Tilda und Viktor gab mir von Beginn an ein starkes Gefühl von "Enemies to Lovers" - eine gegenseitige Anziehung, die beide zuerst nicht ganz deuten können und sich deshalb eher dagegen (bzw. gegeneinander) sträuben und auch die Kluft Arm - Reich ist mir leider schon in zu vielen Liebesgeschichten begegnet. Ich zumindest ahnte mit dem allerersten Auftauchen Viktors bereits, was aus den beiden werden würde und mir verging ein wenig die Lust am Charakter Viktor.

Die kleine Schwester Ida fand ich entzückend und zunächst sehr authentisch in ihrer schüchternen Art, hinter der jedoch viel mehr zu stecken schien. Leider fand ich ihren Wandel im Laufe der Story viel zu abrupt und extrem, sie schien auf mich plötzlich um mindestens fünf Jahre gealtert und mir fehlte die ein oder andere Niedlichkeit der Ida vom Anfang.

Das Thema um die Erkrankung der Mutter fand ich zum Teil sehr gelungen geschildert, ich musste hier und da wirklich schlucken und empfand großes Mitgefühl für die zwei Schwestern. Tilda ist eine unfassbar starke Person, die sie auch sein muss, für ihre Schwester, was mir jedoch fehlte, war insgesamt sie selbst, mehr von Tilda unabhängig von Ida - von ihren Unsicherheiten, Verletzungen, ihrer Überforderung. Dadurch, dass Ida zum Ende hin viel zu schnell "erwachsen wird", wirkt es wie selbstverständlich, dass Tilda sich abnabeln und ihr eigenes Leben aufbauen kann, und ich fragte mich am Ende der Lektüre: kann das wirklich so einfach gehen? Schafft irgendein Mensch wirklich all das "einfach so"?

Der Roman hatte nichtsdestotrotz einige Highlights und besonders sprachlich gab es Sätze, die ich mir markiert habe, weil sie so wunderschön konstruiert waren. Auch gab es einige kleine, sehr liebenswerte Details, wie direkt zu Beginn, als Tilda in ihrem Job an der Supermarktkasse ihr Spiel demonstriert, bei dem sie anhand der Einkäufe auf dem Band die zugehörige Person versucht zu charakterisieren.

Insgesamt würde ich sagen, es wurden Themen und Szenen angerissen, die auf jeden Fall Potential haben, meiner Meinung nach jedoch zu wenig Raum bekommen haben. Der Roman war das Debüt der Autorin und ich bin auf jeden Fall neugierig, was noch von ihr folgen wird.