Literarische Gratwanderung zwischen Entspannung und Kitsch

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merkurina Avatar

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Ich habe "25 letzte Sommer" als Hörbuch gehört. Selbst in diesem Format, in dem ich das Cover nur hin und wieder klein und digital zu sehen bekam, finde ich es zauberhaft ... wunderwunderschön...

Die Sprecherstimme ist angenehm, hat aber bisweilen eine sehr betuliche Art (Märchenonkel-Style). Das ist beim Text selbst ganz genauso.

Es ist sicher nicht der erste Text in dieser Art. Ich stelle mir vor, dass "Das Café am Ende der Welt" Traditionsgeber für diese Textgattung ist: Ein besonderes Erlebnis überrascht einen gestressten, eingetakteten Menschen und er kommt urplötzlich ins Nachdenken über sein Leben...

Mein Erlebnis mit dem Text ist zwiespältig: Er schien mir manchmal tatsächlich verträumt und schön, mit der Aussicht, es könnte auch alles viel einfacher und irgendwie behaglicher sein. Dann wieder kam es mit doch arg platt vor - und dann war ich immer mal wieder peinlich berührt.

Die übertriebene Naivität, mit der der gestresste Städter dem weisen Landmann begegnet, hat mich manchmal schwer genervt. Der Autor ist ein erfolgreicher Journalist und Manager, der in der Lebensmitte die Entschleunigung für sich entdeckte, nicht nur im Text, auch in der Realität. Ach ja ... und diese Erweckungsgeschichten, von Menschen, denen die Augen aufgehen und die das Hamsterrad verlassen, sind halt Geschichten, die man sich leisten können muss.
Beide Männer hier sind priviligierte Männer, das gilt auch für den studierten Kartoffelbauern...

Dennoch gibt es einige Ergänzungen zum Standardstrickmuster "Das Hamsterrad und der weise alte Mann" - die Erzählung einer frühen Traumatisierung sowie der switch am Ende, der noch einmal eine andere, nicht ganz so glatte Facette des "gelungenen Lebens" zeigt. Da wo auch Trauer und Trauma hörbar werden dürfen, hat mir das Buch gefallen. Und dazu eben Trost und Traum...

Fazit: Es ist gar nicht so verkehrt, an bestimmte Lebensweisheiten erinnert zu werden. Manches kann man sich gar nicht oft genug klar machen. Es gibt Stellen im (Hör-)buch, bei denen empfand ich tatsächlich einen sanften Zauber. Man muss aber eine gewisse Einfachheit in Kauf nehmen können, ohne sich zu ärgern, sonst ist der Effekt weg...